Das Grab - Roman
Sie fühlte einen Anflug von Erregung, der jedoch von der Müdigkeit ihres Körpers und einer bleiernen Schwere in ihrem Kopf gedämpft wurde, die die Begegnung mit Charlie hinterlassen hatte. Sie blieb vor dem Wäscheschrank stehen, nahm ihr Strandhandtuch heraus und ging damit ins Wohnzimmer zurück. Sie reichte es Jack. »Vielleicht möchtest du deine Shorts ausziehen«, sagte sie. »Du kannst dir das um die Hüften wickeln. Wir haben keine Hose oder so, die groß genug für dich ist. Ich kann deine Sachen nachher in den Trockner stecken.«
»Ich komm schon klar«, sagte er. »Zieh du dir erst mal was Trockenes an und mach dir wegen mir keine Gedanken. «
»Bin gleich zurück«, sagte sie.
In ihrem Zimmer holte Vicki ihren Bademantel aus dem Schrank und kramte ein Nachthemd aus einer Schublade. Dann eilte sie durch den Korridor ins Badezimmer und schloss hinter sich ab.
Mit dem Gesäß gegen die Tür gelehnt beugte sie sich vor und zog Schuhe und Socken aus. In den Schuhen war Sand. Mit einem Seufzen tappte sie zum Abfallkorb und kippte, mit einer Hand gegen die Sohle klopfend, den Sand hinein.
Sie stützte die Hände auf den Rand des Waschbeckens, beugte sich vor und nahm ihr Gesicht im Spiegel des Arzneischränkchens in Augenschein. Ihr Haar hing in nassen Strähnen über ihre Wangen. Ihre Augen wirkten leer. Ihre Haut schien trotz ihrer Bräune bleich. Auf der rechten Seite ihres Gesichts entdeckte sie einen dunklen Schmierfleck.
Sie trat einen Schritt zurück und bemerkte, dass ihr T-Shirt nass und schmutzig war. Es klebte wie eine zweite Haut an ihr. Bevor sie den Park verlassen hatten, hatte sie kurz in ihr T-Shirt gegriffen und so gut es ging den zerrissenen BH zurechtgerückt. Sonst hätte Jack sie praktisch nackt gesehen. Was nicht so schlimm gewesen wäre, dachte sie. Eigentlich war es ihr ziemlich egal. Sie war viel zu müde, um sich darüber einen Kopf zu machen.
Sie starrte auf die zerrissene, von Schmutz und Blut befleckte Schulter des T-Shirts. Dann zog sie es sich über den Kopf und zuckte zusammen, als sich der Stoff von der Wunde löste. Die zerfetzten Körbchen ihres BHs fielen ohne das haltgebende Shirt auseinander. Sie streifte die Träger über ihre Arme und erstarrte.
Sie richtete sich kerzengerade auf. Ihre Hände zuckten nach oben und hielten ein paar Zentimeter vor ihren schwarzverschmierten Brüsten inne.
Jetzt verstand sie, woher der schwarze Fleck auf ihrem Gesicht und der Schmutz auf ihrem T-Shirt stammten.
Sie starrte an sich herab und stöhnte entsetzt.
Ihre Brüste, ihr Bauch und ihr Brustkorb waren mit Ruß verschmiert. Handabdrücke. Schwarze Schmierspuren, die Charlies verbrannte Finger auf ihrer Haut hinterlassen hatten. Ein breiter schwarzer Streifen zog sich über ihren Unterleib.
Sie zog die Shorts aus.
Der schwarze Streifen endete knapp über ihren Schamhaaren und zog sich seitlich bis zu ihrem Hüftknochen. An der Hüfte waren parallele Kratzer, rote Furchen in ihrer von Ruß geschwärzten Haut.
Sie strich mit einem Finger über ihre linke Brust. Der Schmutz war fettig .
Deshalb hatte er sich nicht im Fluss gelöst.
Dasselbe Zeug hat man an den Fingern, dachte sie, wenn man ein gegrilltes Steak anfasst.
Plötzlich musste sie würgen. Wieder und wieder, während sich ihre Augen mit Tränen füllten und der Brechreiz sie schüttelte. Doch sie übergab sich nicht. Wahrscheinlich war sie durch ihre Zeit als Assistenzärztin in der Notaufnahme abgehärtet – sie hatte derart viele magenverrenkende Dinge gesehen, Tag für Tag, dass sie ihr schließlich keinen Ekel mehr verursachten.
Aber das hier ekelte sie an.
Das Zeug war auf ihrem Körper.
Als das Würgen allmählich nachließ, richtete sich Vicki auf, holte tief Luft und wischte sich die Tränen aus den Augen. Jetzt fühlte sie sich ein wenig besser.
Wasch dich und vergiss das Ganze, dachte sie.
Mit normaler Seife würde das Zeug nicht abgehen.
Sie bückte sich, öffnete das Schränkchen unter dem Waschbecken und entschied sich für eine Flasche Haushaltsreiniger, dessen Etikett groß und breit »fettlösende Wirkung« versprach.
Mit der Plastikflasche in der Hand drehte sie sich um und schielte über die Schulter. Im Spiegel sah sie, dass ihr Rücken zwischen Schulterblättern und Taille fast genauso schmutzig war wie ihr Bauch. Weil ich im Kanu mit dem Rücken auf Charlie lag, dachte sie. Sie drehte ihren Körper ein wenig und sah, dass die Rückseiten ihrer Beine ebenfalls schwarz verschmiert
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