Das Grab - Roman
geschwommen! Ohne hätte sie sich vermutlich nicht so anstrengen müssen. Aber jetzt war sie froh, dass sie sie hatte.
Schließlich rannte sie in den Fluss und umrundete den Zaun zum öffentlichen Badestrand. Wasser spritzte unter ihren Füßen auf, als sie wieder zurück ans Ufer lief.
Keuchend blieb sie am Strand stehen, zog ihre herabhängenden, tropfenden Shorts hoch, beugte sich nach vorn und stützte die Hände auf ihre Knie, um wieder zu Atem zu kommen.
Jack sank zu Boden und ließ sich auf den Rücken fallen.
»Steh auf«, keuchte sie. »Sonst verkrampfen deine Muskeln. Du musst in Bewegung bleiben.«
Mit einem Stöhnen stemmte er sich aus dem Sand hoch.
Ihrem eigenen Ratschlag folgend richtete sich Vicki auf. Sie ging im Kreis, den Kopf in den Nacken gelegt, die Hände auf die Hüften gestemmt, und drückte den Rücken durch. Jack starrte sie rückwärts stolpernd an. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass ihr zerrissener BH von ihren Schultern herabhing. Eines der Körbchen hing wie ein nasses, zerknülltes Taschentuch über ihrer linken Brust, das andere war unter ihre Achsel gerutscht. Das nasse T-Shirt klebte an ihrer Haut. Da hätte sie genauso gut nackt sein können, doch verwundert stellte sie fest, dass ihr das egal war. Wichtig war nur, dass sie Charlie entkommen war. Sie war in Sicherheit. Und Jack ebenfalls.
»Was ist das an deiner Schulter?«, fragte Jack.
Sie drehte den Kopf. Das T-Shirt hatte sich dunkel verfärbt. »Er hat mich gebissen.«
»Himmel.«
»Was ist mit dir?«
»Mein Kopf tut weh.«
Sie ging zu ihm hinüber und legte ihre Hände auf seine Hüften. »Ich hatte Angst, du könntest ertrinken.«
»Ich war nicht bewusstlos«, sagte er. »Aber das Kanu … es war verdammt weit weg, als ich wieder an die Oberfläche kam. Ich hatte Mühe, es wieder einzuholen.« Er legte die Arme um sie und zog sie näher. Sie spürte, wie sich seine Brust hob und senkte, das Hämmern seines Herzens.
»Gott sei Dank bist du okay«, flüsterte sie.
»Hat er dir wehgetan?«
»Nicht schlimm. Nur der Biss.« Sie drückte ihn fester an sich. »Es war so grauenhaft. Er hat meine Sachen zerrissen. Er hat mich … begrapscht .«
»War das wirklich Charlie?«
»Ja.«
»Das verstehe ich nicht. Warum sollte Charlie …?«
»Er hat sich wie ein Wahnsinniger benommen. Ich weiß nicht. Hast du ihn gesehen?«
»Nicht richtig. Nur flüchtig.«
»Er war … total verbrannt. Verbrennungen dritten Grades.« Sie erschauerte. »Jack, seine Haut war verkohlt. Und er hatte keine Augen mehr. Und sein Kopf … eine Seite war völlig eingedrückt. Er hätte tot sein müssen. Niemand kann so eine Kopfverletzung überleben.«
»Charlie offenbar schon.«
»Was sollen wir jetzt machen?«
»Was meinst du damit?«, fragte Jack.
»Ich meine Charlie.«
Jack sagte eine Weile nichts. Seine Hände strichen langsam über ihren Rücken. »Ich hab absolut keine Lust, dem Suchtrupp irgendwas davon zu sagen, das ist mal sicher. Er hätte uns beide umbringen können. Er hat dir wehgetan . Zur Hölle mit ihm. Inzwischen ist er wahrscheinlich sowieso ertrunken oder an seinen Verletzungen gestorben. Egal. Hauptsache, wir sind ihn los. Dieses Arschloch können von mir aus die Fische fressen. Mir egal. Ich weiß, er war dein Freund, aber …«
»Es war Charlie, aber nicht mehr mein Freund. Ich hab ihm gesagt , wer ich bin. Er machte einfach weiter und … Er hätte mich vergewaltigt, Jack. Genau das wollte er. Dieser verkohlte … Er wollte mich vergewaltigen .«
Zitternd presste sie ihr Gesicht an Jacks Hals. Er hielt sie lange an sich gedrückt. Allmählich ließ das Zittern nach. Vicki fühlte sich, als würde sie alle Kraft verlieren. Nur Jacks kräftiger Körper bewahrte sie davor, auf den Sand zu sinken.
»Meinst du, du schaffst es bis zu meinem Haus?«, fragte Jack.
»Ich möchte lieber zu mir nach Hause. Zu Ace. Du kommst doch mit, oder?«
»Und ob.«
»Gut«, sagte sie. Sie hielt ihn fest umklammert. »Nur noch ein paar Minuten, okay?«
Kapitel Vierundzwanzig
»Möchtest du einen Drink?«, fragte Vicki, als sie das Licht im Wohnzimmer anknipste.
»Das kann warten, bis du dich umgezogen hast«, sagte Jack.
»Ich beeile mich.«
»Hast du ein altes Handtuch für mich, auf das ich mich setzen kann?«, fragte er und zupfte an einem Bein seiner klammen Shorts.
Sie nickte und ging hinaus in den Korridor. Sie dachte daran, wie seltsam es war, dass Jack heute Nacht am Ende doch noch mit zu ihr nach Hause gekommen war.
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