Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das graue distinguierte Leichentuch: Roman

Titel: Das graue distinguierte Leichentuch: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
Vom Netzwerk:
Augen siehst – aber was ich sage, stimmt. Er ist zu mir und zu Tante Clothie sehr gut gewesen.«
    »Du sprichst nie von deiner Tante.«
    »Sie sind seit fast fünfunddreißig Jahren verheiratet, und er behandelt sie noch immer so, als ob gestern Hochzeit gewesen wäre. Wenn du sie nur einmal beisammen sehen könntest! Seit fünf Jahren ist sie bettlägerig, und fast nie kommt er ohne ein kleines Geschenk nach Hause.«
    »Ich komme mir ja ganz schäbig vor!« Dave zog die eine Braue hoch. »Mein Gott, Janey, ich habe wirklich nicht die Ab­sicht, deinen Onkel herabzusetzen. Ich habe ihm viel zu verdan­ken.«
    »Du bist nicht der einzige«, sagte Janey, nicht mehr ganz so steif. Als er diesmal ihre Hand berührte, zog sie sie nicht weg.
    Später im Büro suchte Dave Homer Hagerty auf. Aber er blieb im Vorraum stehen, als er sah, daß an Celias Schreibtisch ein heftiger Wortwechsel stattfand.
    »Bedaure«, sagte die Sekretärin des Generaldirektors. »Mr. Hagerty ist heute nachmittag nicht zu sprechen. Ich will ihm gern etwas ausrichten.«
    »Kommen Sie mir nicht damit!« Die Besucherin beugte sich über Celias Tisch und machte eine wütende Miene. Sie schlug einen so drohenden Ton an, daß Dave beschloß, weiter zuzuhö­ren.
    Sie trug einen zottigen Mantel aus einem undefinierbaren, aber teuren Fell, dessen Farbe sich überhaupt nicht vertrug mit dem grell silberblonden Haar, das sich auf ihrem Kopf hoch auftürmte. Sie hielt eine kleine Perlentasche in der Hand. Initia­len aus Talmigold (oder war es echtes Gold?) glänzten im Lam­penlicht. Sie war ungewöhnlich groß und hatte die Körperhal­tung einer Varieteartistin; ihre Frisur trug sie so, als führe sie eine Balancenummer vor. Als sie den Kopf wandte, sah Dave, daß sie erstaunlich jung war, das Gesicht mit einer dicken Schicht theatralisch phosphoreszierenden Make-ups bedeckt, der Mund übertrieben rot. Sie besaß jene auffallende Schönheit, die auf den Plakaten der Nachtlokale sehr beliebt ist, und nach den geschmeidigen Bewegungen ihres Körpers unter dem dicken Pelz zu schließen, ließ ihre Figur an Üppigkeit nichts zu wün­schen übrig.
    »Kommen Sie mir nicht damit!« wiederholte sie. »Er weiß verdammt gut, daß ich die Absicht hatte, ihn heute aufzusuchen. Lassen Sie mich einen Augenblick ans Telefon.«
    Celia wurde rot. »Er ist aber nicht da. Er mußte ins Kranken­haus. Wenn Sie etwas hinterlassen wollen –«
    »Ja, ich habe ihm etwas zu sagen. Aber das ist nicht für die Ohren einer jungen Dame geeignet, die so brav ausschaut wie Sie. Kennen Sie seine Privatnummer?«
    Celia log. »Nein.«
    Die Besucherin verzog den Mund zu einem spöttischen Lä­cheln, als hätte sie die treuherzige Lüge durchschaut. »Okay, mein Kind, Sie haben eben auch Ihre Probleme. Mich aber in­teressieren meine eigenen. Sagen Sie also Mr. Hagerty, er möch­te mich anrufen.«
    »Gern. Wenn Sie mir Ihren Namen und Ihre Telefonnummer geben –«
    »Der Name ist Gander. Miss Gander. Und ich glaube, Mr. Hagerty kennt meine Nummer.«
    Celia kritzelte etwas auf ihren Notizblock, und die Besucherin betrachtete die Blumen auf dem Schreibtisch. Wieder lächelte sie ihr berückendes Lächeln und brach eine Nelke vom Stengel ab. Sie ließ sie in die Perlentasche fallen und knipste mit ver­zerrt triumphierender Miene den Verschluß zu. Dann machte sie kehrt und ging zum Aufzug. Ihre Absätze klapperten laut und hart über den Fußboden.
    Als sie weg war, trat Dave an Celias Tisch heran und sagte: »Puh! Was einem nicht alles über den Weg läuft!«
    Celia erwiderte: »Mhm.« Dann hatte sie plötzlich furchtbar viel zu tun.
    Dave kehrte durch die verschiedenen Korridore in sein Büro zurück. Er dachte darüber nach, was für ein Interesse die stimm­gewaltige Miss Gander an Homer Hagerty haben mochte.
    Eben wollte er sich an seinen Schreibtisch setzen, da fiel ihm ein, was das für goldene Initialen gewesen waren, die auf Miss Ganders Perlentasche geglänzt hatten.
    A. G.
    Er stieß einen Pfiff aus und beschloß dann, die Sache mit Janey zu besprechen.
    Als er sie aufsuchte, war sie in den Anblick zahlreicher klei­ner Fotos vertieft, je ein Dutzend auf einem Blatt. Sie benützte ein Vergrößerungsglas und runzelte dabei die Stirn.
    »Hallo!« sagte Dave. »Ist das die gestrige Ausbeute?«
    »Ja. Ich schaue sie mir schon den ganzen Nachmittag an.«
    »Wenn du einen Augenblick Zeit hast, möchte ich dich etwas fragen –«
    Zerstreut blickte sie auf. »Hat es Zeit? Ich bin

Weitere Kostenlose Bücher