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Das graue distinguierte Leichentuch: Roman

Titel: Das graue distinguierte Leichentuch: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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aufzusetzen, aber es gelang ihm nicht ganz. »Wer ist krank?« stieß er stöhnend hervor. »Ich liege im Sterben.«
    Sie setzte sich auf die Bettkante, nun doch besorgt. »Fühlst du dich schlechter?«
    »Schrecklich. Ich glaube, mein Ende ist nahe. Gewähre mir lieber eine letzte Bitte. Au!«
    »Ich habe dich ersucht«, sagte Janey grimmig, »dich anständig zu benehmen. Meiner Meinung nach war das Ganze eine einzige Komödie. Ich habe gleich gewußt, daß es sich um einen simplen Casanovatrick handelt.«
    Dave öffnete auch das zweite Auge. »Was zum Teufel ist denn eigentlich passiert? Ich habe das Gefühl, als hätte man mir den Magen ausgekratzt.«
    »Du bist in deinem Büro ohnmächtig geworden. Wir haben einen Arzt geholt, und er meint, es könne eine LebensmittelVergiftung gewesen sein. Aber egal, was es war, du bist es losgeworden.«
    »Lebensmittel-Vergiftung?« Dave runzelte die Brauen. »Wir haben doch beide dasselbe gegessen, oder wie? Scampi und Kalbsschnitzel. Warum ist dir denn nicht übel geworden?«
    »Schönen Dank für die guten Wünsche.«
    »Nein, im Ernst!« Mühsam setzte er sich auf, und da sah er, daß er einen Pyjama anhatte. »He, wie ist denn das passiert?«
    Janeys Milchglaswangen wurden rot. »Ich habe ihn in einer Schublade gefunden. Du solltest deine Wäscherei ersuchen, deine Pyjamas nicht zu stärken. Der, den du anhast, ist so gut wie von selber aus der Kommode heraus und in dein Bett spaziert.«
    »Du meine Güte, ich glaube, jetzt werden wir heiraten müssen«, sagte Dave nachdenklich. »Du hast mich kompromittiert.«
    »Sei beruhigt, ich habe auf dem College Erste Hilfe gelernt. Das verleiht mir gewisse Rechte.« Einen Augenblick lang wich sie seinem Blick aus. Als sie ihn dann wieder ansah, merkte sie, daß seine spöttische Laune verflogen war. »Was ist los?«
    »Das war keine Lebensmittelvergiftung, Janey. Es muß sich um sonst eine Vergiftung handeln. Ich erinnere mich – kurz bevor mir übel wurde, habe ich ein Meprobomat genommen.«
    »Ein was?«
    »Ein Beruhigungsmittel.« Dave runzelte die Brauen. »Ich nehme es schon seit zwei Monaten. Keine Bemerkungen, bitte.«
    »Ein Beruhigungsmittel? Kann einem denn davon so schlecht werden?«
    »Nein. Aber ich erinnere mich, daß diese Tablette komisch geschmeckt hat. Besonders bitter. Als ich sie hinunterschluckte, habe ich mir nichts dabei gedacht, aber eine Minute später ging es los. Die Tablette muß daran schuld gewesen sein.«
    »Du meinst, sie war verdorben?«
    »Möglich. Vielleicht hat der Apotheker sich geirrt. Oder.«
    »Oder was, Dave?«
    »Du wirst sagen, ich bin verrückt. Bestimmt wirst du das sagen. Aber vielleicht war es Arsen oder Zyankali, ich meine Gift, reines Gift.«
    »Was ist das für ein furchtbarer Gedanke! Wie sollte denn Gift in dein Tablettenfläschchen geraten sein?«
    »Ich kann mir nur eine Möglichkeit denken. Jemand hat es hineingetan.«
    Er ließ sich zurücksinken und machte die Augen zu. Er war nicht einmal neugierig zu sehen, wie Janey auf seine Worte reagierte. Das Betäubungsmittel, das der Arzt ihm gegeben hatte, hatte seine Wirkung noch nicht verloren, und er schlief schnell wieder ein. In den frühen Morgenstunden hatte er einen einzigen kurzen, beunruhigenden Traum, der sich um einen heranbrausenden Eisenbahnzug drehte. Im Führerstand war Harlow Ross, eine übelriechende Pfeife im Mund. Schwarzer Rauch entströmte dem Pfeifenkopf.
    Dave schlief bis halb elf, und als er aufwachte, fühlte er sich erstaunlich normal. Er rief im Büro an. Die Telefonistin, die sofort seine Stimme erkannte, erkundigte sich nach seinem Befinden.
    »Es geht mir gut. Ich glaube, ich komme im Laufe des Nachmittags ins Büro. Könnte ich, bitte, mit Louise sprechen?«
    Hastig und beflissen empfahl sie ihm ein bewährtes Hausmittel, dessen Hauptbestandteile Kampferöl und eine warme Socke waren, und verband ihn dann mit seiner Sekretärin.
    »Mr. Robbins’ Büro«, sagte Louise. Als sie Daves Stimme hörte, fing sie an zu schluchzen.
    »Schon gut, Louise. Ich bin wieder auf dem Damm. Es war nur eine kleine Magenverstimmung. Hat heute schon jemand angerufen?«
    »Nur die Gräfin Szylenska. Ich habe ihr gesagt, daß Sie krank sind und wahrscheinlich heute nicht ins Büro kommen werden. Es war merkwürdig –«
    »Was denn?«
    »Ihr Ton. Es klang, als ob sie es mir nicht glauben wollte.«
    Dave stöhnte in sich hinein. »Also schön, Louise«, sagte er mit recht kläglicher Stimme. »Ich habe es mir überlegt.

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