Das graue distinguierte Leichentuch: Roman
Ich werde nicht ins Büro kommen. Wenn jemand mich dringend zu sprechen wünscht, bin ich bis gegen sechs zu Hause zu erreichen. Nachher nicht mehr.«
Er legte auf und wählte dann eine neue Nummer.
»Frau Gräfin? Hier spricht David.«
»Ach ja«, sagte sie in einem eisigen Ton. »Ich habe gehört, daß Sie sich nicht wohl fühlen, David.«
»Nein, nein, es geht mir gut. Gestern hatte ich Magenbeschwerden, aber jetzt geht es mir wieder gut. Ich wollte Ihnen nur mitteilen, daß ich noch immer mit dem Wochenende rechne, falls es Ihnen paßt.«
Ihre Stimme klang mit einem Male viel vergnügter. »Oh? Wirklich, David?«
»Aber ganz bestimmt. Ein bißchen Entspannung wird mir guttun.«
»Sie Armer!« sagte die Gräfin, und der eisige Ton war mütterlicher Wärme gewichen. »Wir werden Sie in Romanvilla sehr verwöhnen. Wissen Sie, um ganz ehrlich zu sein, als ich in Ihrem Büro anrief.« Sie lachte. »Ich bildete mir ein, Sie hätten sich wieder einen Vorwand ausgedacht, um mich nicht besuchen zu müssen. Da sehen Sie, mit was für einer dummen Person Sie es zu tun haben.«
»Seien Sie unbesorgt. Ich möchte dieses Wochenende um keinen Preis versäumen.«
»Fein. Ich hole Sie gegen sechs Uhr ab, David. Belasten Sie sich nicht mit zu viel Kleidern. Bei uns in Romanvilla geht es sehr zwanglos zu.«
»Dann also bis um sechs, Frau Gräfin.«
Er legte auf und schnitt dem Telefon eine Grimasse.
Zu Mittag stand er auf und machte sich ein kombiniertes Frühstücks-Mittagessen, das aus Rührei und einem Erdnußbutterbrot bestand. Die Eier schmeckten wie brauner Samt und das Butterbrot wie Holzkitt. Um halb fünf fing er an, sich auf das Wochenende vorzubereiten.
»Was hast du denn nur?« sagte er zu seinem Spiegelbild im Badezimmer. »So übel ist sie doch nicht. Außerdem ist sie eine waschechte Gräfin. Wie oft hat man schon Gelegenheit, mit einer Repräsentantin des Hochadels eine Nacht zu verbringen?«
Das Argument befriedigte ihn ganz und gar nicht. Gräfin Margaret Szylenska erweckte trotz ihres bunten Gefieders und ihres Titels ganz einfach keine entsprechenden Gefühle in ihm. Außerdem war auch noch Janey vorhanden.
Er stöhnte, als er an Janey dachte. Sie wußte, daß das Wochenende ihn irgendwohin entführte, aber er hatte es unterlassen, ihr den Namen seiner Gastgeberin zu nennen. Wenn sie wüßte, was er sich im Namen der Pflicht vorgenommen hatte.
Er begrub den Gedanken in einem nassen Waschlappen.
Fünf Minuten nach sechs ertönte unten auf der Straße die Melodie einer mehrstimmigen Autohupe. Er sah zum Fenster hinaus. Es war ein großer roter italienischer Wagen, der aufdringlich und fehl am Platz wirkte zwischen den geparkten Plymouths und Chevrolets.
Dave nahm seinen Koffer und ging hinunter, um seine Gastgeberin zu begrüßen.
An diesem Abend war Pelz die vorherrschende Note. Die Gräfin trug einen dicken Nerzmantel, der ihrer rundlichen Figur gar nicht gut stand, und einen großen, mit kleinen Hermelinschwänzchen geschmückten Pelzhut. Ihre schwarzen Handschuhe waren mit Hermelin besetzt, und Dave war fest darauf gefaßt, sie aus einer pelzbesetzten Zigarettenspitze rauchen zu sehen. Als er einstieg, fletschte sie lächelnd die Zähne und begrüßte ihn mit freundlicher Stimme.
»Ach, wie ich mich freue, David! Hoffentlich fühlen Sie sich wohl genug für die kleine Reise.«
»Ohne Frage!« antwortete Dave. »Es war nichts Besonderes.«
»Ich habe aber gehört, daß es recht beunruhigend aussah. Jemand hat mir berichtet, Sie seien ohnmächtig geworden. Stimmt das?«
»Na ja, gewissermaßen. Ich nehme an, daß ich etwas Verdorbenes gegessen habe. Scampi. Sie wissen ja, wie einem das schaden kann.«
»Ja«, sagte die Gräfin. »Sie müssen sehr vorsichtig sein, David.«
»Ja«, erwiderte er nachdenklich. »Ich habe die Absicht, sehr vorsichtig zu sein, Frau Gräfin.«
Die Fahrt dauerte über eine Stunde und war alles andere als gemütlich. Die Gräfin öffnete das Seitenfenster, kuschelte sich in ihren Pelzberg und genoß die kalte Luft, die ihr ins Gesicht schlug. Dave fror erbärmlich in seinem ungefütterten Mantel, aber das wollte er um keinen Preis zugeben. Fast die ganze Zeit hindurch plapperte sie wie ein junges Mädchen drauflos und verstummte nur, als sie auf die Autobahn einbogen. Dann widmete sie ihre gesamte Energie dem Lenken und holte aus dem ausländischen Wagen das Äußerste an seinen recht beträchtlichen Pferdestärken heraus. Sie hatte es anscheinend furchtbar
Weitere Kostenlose Bücher