Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das graue distinguierte Leichentuch: Roman

Titel: Das graue distinguierte Leichentuch: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
Vom Netzwerk:
müssen. Aber das macht mir eigentlich nichts aus.«
    »Gute Nacht, Frau Gräfin«, sagte Dave, nahm Sonjas Arm und bugsierte sie zur Tür.
    »Passen Sie gut auf mein kleines Mädchen auf«, rief die Gräfin vergnügt hinterher. »Und amüsiert euch, Kinder!«
    Während der Liftfahrt blieben Sonjas Wimpern auf Halbmast gesenkt. Sie schlug sie erst auf, als das Taxi die Runde um den Springbrunnen auf dem Vorhof beendet hatte und sie in die weltlichere Atmosphäre der York Avenue entführte. Dann richtete sie ihren Unschuldsblick auf Dave und fragte: »Wo fahren wir hin?«
    »Sagen Sie Dave zu mir, Sonja, niemand nennt mich Mr. Robbins. Außer meiner Mutter natürlich.«
    »Wie bitte?« Sie sah verständnislos drein. Dann mußte sie wohl begriffen haben, daß er um jenen scherzhaften Plauderton bemüht war, von dem sie in Romanen gelesen hatte. Sie lachte kurz auf und räusperte sich, um selber ein wenig Konversation zu machen.
    »Schade, daß Sie gestern nicht ins Theater mitkommen konnten. Das Stück war sehr gut.«
    »Wirklich? Wovon handelt es denn?«
    Selbst im Halbdunkel des Taxis war deutlich zu sehen, daß sie errötete. »Ach, ich glaube, von Liebe.«
    »Wer hätte das gedacht«, sagte Dave.
    Als sie das Restaurant ›Lucia‹ betraten, gab Dave Hut und Mantel an der Garderobe ab und beklagte sich nicht, als der Oberkellner ihm einen besonders im Mittelpunkt stehenden Tisch anwies. Mit Sonja konnte man sich sehen lassen, und wenn auch nur die leiseste Aussicht darauf bestand, daß eine gewisse blonde Layout-Zeichnerin mit ihrem pfeifenrauchenden Kavalier hier hereingeschneit käme.
    Sonja sah ihn an. »Ein reizendes Lokal«, sagte sie. »Kommen Sie oft hierher?«
    »Gelegentlich. Ich empfehle Kalbsscaloppine und natürlich Spaghetti. Man macht sie hier ganz dünn und braun mit einer schönen, leichten Sauce. Sie achten doch nicht auf Kalorien, wie?«
    »Eigentlich nicht«, erwiderte Sonja. »Aber ich weiß nicht, ob ich viel essen kann.«
    Prompt ging sie daran, ihre Behauptung Lügen zu strafen. Dave sah ihr zu, wie sie zwei Whisky-Soda, ein halbes Dutzend Austern, eine Schüssel Spaghetti, eine große Portion Kalbsscaloppine, drei Scheiben Brot, zwei Gläser Chianti, einen Teller Tortoni und zwei Täßchen Kaffee zierlich, aber unbarmherzig vertilgte. Er wunderte sich ein wenig über diesen kolossalen Appetit, aber als es ans Zahlen ging, saß sie so sittsam da wie nur je, den Blick gesenkt, blaß und nahezu unterernährt.
    »Was möchten Sie jetzt gern unternehmen?« fragte Dave. »Wir können entweder ins Kino gehen oder mit einer Pferdedroschke im Park spazierenfahren oder bis morgen früh in einer verrauchten Bar herumhocken. Was wäre Ihnen am liebsten?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte sie schüchtern. »Was wäre Ihnen am liebsten?«
    »Ehrlich gesagt«, erklärte Dave stirnrunzelnd, »möchte ich gern irgendwohin gehen, wo ich die Schuhe ausziehen und den Gürtel aufmachen kann. Aber der Abend gehört Ihnen, Sonja, also haben Sie zu bestimmen.«
    Sie antwortete nicht gleich. Dann: »Gehen wir zu mir nach Hause. Wir können Musik hören oder vielleicht eine Partie ›Scrabble‹ spielen.«
    Dave unterdrückte ein Stöhnen.
    »Ausgezeichnet! Das wird gemacht.«
    Es waren keine drei Stunden verstrichen, da waren sie wieder im ›Manhattan Manor‹ angelangt, aber erst, als Sonja den Schlüssel ins Schloß steckte, fiel Dave auf, daß kein Mensch in der Wohnung war: wie ungünstig! Das Mädchen hatte man weggeschickt, und die Gräfin nahm an einer Sitzung teil, die äußerst gelegen kam und sie bis zum Morgengrauen festhalten würde. Es sah fast arrangiert aus.
    Aber jedweder Verdacht, den Sonjas Absichten erregt haben mochten, wurde sogleich durch ihre Handlungsweise verscheucht. Emsig ging sie daran, sämtliche Lampen einzuschalten, und dann hielt sie ihr Versprechen in bezug auf das Buchstabenspiel. Sie öffnete das Brett auf dem Kaffeetischchen im Roten Zimmer, hockte sich dann auf den scharlachroten Teppich und begann die kleinen weißen Täfelchen in dem Kasten umzudrehen.
    Dave fragte: »Soll ich Ihnen einen Drink mixen?«
    »Mir nicht«, erwiderte sie vergnügt. »Mir ist noch ganz schwindlig. Aber bedienen Sie sich.«
    Dave bediente sich. Er setzte sich mit einem eisgekühlten Scotch aufs Sofa, seufzte und war von der Aussicht auf eine Partie ›Scrabble‹ nicht gerade begeistert.
    »Glauben Sie, daß es zu warm ist, um Feuer zu machen?«
    »Oh, ich finde, ein Feuer im Kamin wäre entzückend.

Weitere Kostenlose Bücher