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Das graue distinguierte Leichentuch: Roman

Titel: Das graue distinguierte Leichentuch: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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ihnen etwas zurufen, dann aber entschied er sich für eine schlauere Methode. Er ging hinter ihnen her.
    Die Taxi-Situation war verzweifelt. Noch war die nächste Kolonne nicht aus den Garagen der East Side losgeschickt worden, und mitten auf der 44. Street wogte eine höfliche, aber erbitterte Schlacht. Ross schien das nicht weiter zu stören. Dave merkte bald, warum. An der Ecke der Eighth Avenue erwartete ihn ein glitzernd schwarzer Cadillac, und ein uniformierter Chauffeur vollzog seine Zeremonie: Türe öffnen, Guten-Abend-Gnädige Frau, Guten-Abend-Sir. Er hörte Ross zum Chauffeur ›Serafino‹ sagen und sah ihm dann zu, wie er hinten in das gemietete Auto einstieg und sich neben Janey setzte. Ohne zu warten, bis die Limousine den Bordstein verließ, eilte Dave südwärts durch die Eighth Avenue und hielt nach einem Taxi Ausschau. In einem Wettlauf mit einer dicken Frau blieb er Sieger. »Serafino!« sagte er zum Chauffeur.
    Das ›Serafino‹ war ein Kaffeehaus in der 56. Street, das für ausgefallene Kaffeesorten und ein entsprechendes Publikum bekannt war. Dave hatte nie sehr viel für diese etwas bohemehafte Atmosphäre übrig gehabt, hätte sich aber denken können, daß sie Harlow Ross behagte. Als er eintrat, wollte ihm eine Kellnerin mit Pferdeschwanz und viel klirrendem kunstgewerblichem Schmuck einen Tisch anweisen. Dave aber sah sich unter den Gästen um, bis er den Tisch erspäht hatte, der ihn interessierte.
    »Ich setze mich zu Bekannten«, erklärte er und schob sich an ihr vorbei.
    Janey erblickte ihn zuerst, und es gelang ihr, ihr Erstaunen zu verbergen. Ross aber nahm die Pfeife aus dem Mund, um seiner Überraschung lauten Ausdruck zu verleihen.
    »Hallo, lieber Freund! Was zum Teufel haben Sie denn hier zu suchen?«
    »Ich bin verrückt nach Kaffee«, erwiderte Dave und sah Janey an. »Außerdem wollte ich Sie etwas fragen.«
    »Du bist uns wohl gefolgt«, sagte Janey vorwurfsvoll. »Wußtest du nicht, Harlow, daß Dave Amateurdetektiv ist?«
    Dave zog einen Stuhl heran. »Richtig. Und ich stelle mich auch gar nicht so ungeschickt an. So habe ich zum Beispiel heute abend etwas recht Interessantes über Sie erfahren, Harlow.«
    »Über mich?« Ross kniff die Augen zusammen.
    »Jawohl. Ich wußte nichts von Ihren Hobbys. Es war für mich geradezu ein Schock.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Ihre kleine Nebenbeschäftigung. Kuppelei aus Liebe zur Sache und auch des Profits wegen.«
    Janey schnaubte. »Er ist betrunken.«
    »Vielleicht sollte ich ein netteres Wort wählen«, sagte Dave. »Zum Beispiel – Werkspionage.«
    Ross lutschte geräuschvoll an seinem Pfeifenstiel.
    »Ich habe mich soeben mit einer Dame unterhalten, die eine Ihrer Bekannten sehr gut kennt«, fuhr Dave fort. »Sie hat mir von Ihren Besuchen bei der Gräfin Szylenska erzählt. Und von den Fotos, die Sie ihr in die Wohnung geliefert haben. Wie lautet das Abkommen? Sind Sie fest engagiert, oder werden Sie pro Auftrag honoriert?«
    Ross schob den Stuhl zurück und stand auf. In einem früheren Jahrhundert würde er sich auf die Hüfte geklatscht und einen sechsschüssigen Colt gezogen haben. Da er jedoch ein Kind seiner Zeit war, starrte er Dave lediglich haßerfüllt an und schnarrte: »Komm, Janey, gehen wir! Dein Freund fällt mir auf die Nerven.«
    Sie blickte von einem zum andern und fand sich nicht zurecht.
    »Was geht hier vor?«
    Dave hatte es nicht gern, wenn jemand auf ihn herabblickte. Auch er stand auf und machte sich seine Größe zunutze.
    »Erzählen Sie es ihr doch, Harlow! Erzählen Sie Janey, wie Sie die Fotos aus ihrem Büro geklaut haben –«
    »Dreckskerl!« flüsterte Ross. Dann beging er den Fehler, die Hitze in Daves Feuerofen zu unterschätzen. Er streckte die Hand aus und drückte sie flach gegen Daves Rockaufschlag. Es war nur ein ganz leichter Stoß, genügte aber, um Daves Zorn auszulösen. Sein rechter Arm bewegte sich wie ein Motorkolben und lieferte einen Haken, wie man ihn kaum schöner bei den allwöchentlichen Mittwochskämpfen zu sehen bekommt. Der Schlag traf Ross’ vorgestrecktes Kinn. Die Pfeife flog aus seinem Mund und landete klappernd zwischen den Espressotassen auf dem Nachbartisch.
    Janeys halberstickter Ausruf war in dem allgemeinen Tohuwabohu, das nun einsetzte, nicht zu hören. Zuerst stürmten die Kellnerinnen wie ein Trupp aufgeregter Balletteusen auf sie zu. Ein Mann in weißer Jacke und mit behaarten Unterarmen kam hinter der Espressomaschine hervor und überhäufte sie mit

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