Das graue distinguierte Leichentuch: Roman
Polizei. Ein Nachbar behauptet, um diese Zeit einen gedämpften Knall gehört zu haben.
Als ich gegen sieben nach Hause kam, lag die Scheune bereits in Asche. Bob war in der Dunkelkammer. Er hatte nichts Menschliches mehr an sich, so verbrannt und verstümmelt –« Einen Augenblick lang versagte ihre Stimme. Dann fügte sie rasch hinzu: »Ich habe Ihnen versprochen, nicht zu weinen.«
»Aber was ist denn passiert? Was war die Ursache?«
»Ich weiß es nicht genau. Man behauptete, es könnte eine sogenannte Selbstentzündung gewesen sein. Die verrückten Chemikalien, die er herumliegen hatte, wurden überhitzt und explodierten. Man behauptete auch, er habe nicht gelitten, er sei sofort tot gewesen, aber ich frage mich, woher will man das wissen? Woher will man denn überhaupt etwas wissen?«
Dave sah sie an. Sie konnte ihr Versprechen nicht halten.
»Es roch abscheulich, so wie ich mir immer vorgestellt habe, daß es in der Hölle riechen muß. Alles war zerfetzt, zertrümmert, verbrannt. Als ob eine Bombe eingeschlagen hätte. Später habe ich mir gedacht, daß es vielleicht ein Fehler war, so einsam zu wohnen. Das nächste Haus ist einen Kilometer weit entfernt.
Vielleicht hätte man sonst die Explosion gehört und wäre schnell zu Hilfe geeilt. Wenn er dann vielleicht noch nicht tot war.«
Sie zuckte mit den Achseln. »In Bronx könnte so etwas nicht passieren, das sage ich Ihnen. Binnen zwei Sekunden wäre das ganze Viertel vor unserer Tür gewesen. Hier fliegt ein Haus in die Luft, und die Leute mähen ihren Rasen weiter.«
Dave wartete, und als sie schwieg, fragte er: »Was wurde zerstört? Alles? Auch das Archiv mit den Fotos?«
»Woher soll ich das wissen? Jedenfalls war nichts übriggeblieben, was man hätte aufheben können. Ich ließ alles wegschaffen.«
»Dann ist also alles verschwunden. Einschließlich die Negative, die er für die Burke-Baby-Serie benützt hat?« »Ist das wichtig?«
»Nein«, erwiderte Dave müde. »Nicht gar so wichtig. Ehrlich gesagt, hatte ich gehofft, sie würden noch vorhanden sein. Ich hätte etwas mit ihnen vorgehabt. Aber Schwamm darüber, Ruth, ich kann mich auch ohne sie behelfen.«
»Das tut mir leid. Ich wußte es nicht. Haben Sie mich deshalb aufgesucht?«
»Nein, nein«, antwortete Dave. Ihre Frage war ihm peinlich. »Nicht nur deshalb, wirklich nicht. Ich wollte Ihnen Guten Tag sagen und Genaueres über den Unfall erfahren. Ich bin nur in der letzten Zeit auf eine Reihe von Problemen gestoßen.«
»Sie meinen, beruflich?«
»Ja, gewissermaßen.« Er füllte sein Glas. »Ruth, darf ich noch eine Frage an Sie richten?«
»Freilich.«
»Diese Porträtaufnahme! Daß beides so merkwürdig zusammentraf. Haben Sie – oder hat Bob eine Kartei geführt – vielleicht außerhalb des Ateliers? Läßt sich nicht feststellen, wer an diesem Tag zu ihm kam?«
»Eine Kartei?« Sie kniff die Augen zusammen. »Nein, Bob hatte nicht so viele Aufträge, daß er eine Kartei gebraucht hätte. Warum fragen Sie?«
»Ohne besonderen Grund. Ich wollte es nur wissen.«
Sie biß sich auf die Lippen. »Ich habe nie viel darüber nachgedacht. Die betreffende Person hat sich nicht mehr gemeldet. Wahrscheinlich hat sie nachher von dem Unglücksfall gehört. Wer weiß, vielleicht steckt der Film noch in der Kamera.«
»In welcher Kamera?«
»Das war eine der wenigen Sachen, die ich behalten habe. Ich weiß nicht, warum. Ich war so wütend auf das Atelier, daß ich am liebsten alles entzweigeschlagen hätte, was nicht schon kaputt war. Aber die Kamera habe ich behalten. Eine Leica.«
Dave rutschte auf seinem Stuhl nach vorn.
»Könnte ich sie mal sehen, Ruth? Wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Gern.«
Sie stand auf und verschwand im Nebenzimmer. Er wartete gespannt. Als sie mit der Leica zurückkehrte, nahm er sie in die Hand und drehte sie verdutzt hin und her.
»Wo kann man sehen, ob ein Film darin ist?«
»Hier ist eine kleine Vorrichtung.« Sie zeigte auf die Stelle. »Sehen Sie die Indexmarke? Ja, es ist ein Film drin.«
»Ruth – würden Sie mir erlauben, den Film mitzunehmen?«
»Gern. Aber warum wollen Sie ihn denn mitnehmen, Dave?«
»Aus reiner Neugier. Darf ich?«
»Selbstverständlich. Geben Sie die Kamera her, ich nehme den Film heraus.«
Sie knipste die eine Lampe aus, die im Zimmer brannte, und öffnete die Klappe. Dann spulte sie den Film ab, klebte das gummierte Ende zu und reichte ihm die Rolle.
Er hatte keine Lust, noch länger hier herumzusitzen,
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