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Das graue distinguierte Leichentuch: Roman

Titel: Das graue distinguierte Leichentuch: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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beruhigt sein. Janey hat sich seit kurzem einen neuen Spielkameraden zugelegt.«
    »Sie meinen Harlow?«
    »Richtig. Ross mit dem eisernen Kinn.«
    »Was soll das heißen?«
    »Nichts. Hören Sie mal, das ist doch etwas Neues bei Cubby, wie? Haben Sie mir nicht erzählt, daß er Versprechen und Verabredungen immer einhält?«
    »Meistens ist er sehr pünktlich. Wenn er uns warten läßt, muß es sich um etwas Wichtiges handeln. Aber lenken Sie mich nicht vom Thema ab, Dave. Janey hat gestern bei uns zu Hause übernachtet, und als ich sie heute früh beim Frühstück sah, hätte ich schwören mögen, daß sie geweint hatte. Nun kenne ich meine Janey. Sie hat nicht mehr geweint, seit sie acht Jahre alt war.«
    Das Klappern hoher Absätze lockte ihre Blicke zur Tür. Eine Frau kam heraus, aber es war nicht Kermit Burkes Sekretärin, sondern Gräfin Szylenska, und ein Beobachter wäre über die Reaktion erstaunt gewesen, die ihr Erscheinen auf den Gesichtern der beiden Männer in den roten Ledersesseln hervorrief. Sie sahen wie griechische Masken aus: die Lippen des älteren waren lächelnd nach oben verzogen, die des jüngeren Mannes finster nach unten gezerrt.
    »Guten Morgen, Frau Gräfin!« sagte Hagerty mit seiner schönen Predigerstimme. »Es freut mich, Sie wieder zu sehen.«
    »Guten Morgen!« fügte Dave brummig hinzu. Er überlegte blitzschnell: Dieser morgendliche Besuch konnte nur einen Grund haben. Die Gräfin hatte mit Sonja gesprochen, und welche Version von den Ereignissen des gestrigen Abends sie auch immer erhalten haben mochte, für Dave mußte sie auf jeden Fall unvorteilhaft sein. Offenbar hatte sie Burke in der ausdrücklichen Absicht aufgesucht, ihre Drohungen wahr zu machen und die Wahrheit über das Burke-Baby zu enthüllen.
    Als die Gräfin die beiden erblickte, blieb sie wie angewurzelt stehen.
    »Guten Morgen!« sagte sie. »Es tut mir leid, daß Sie meinetwegen warten mußten, aber ich hatte etwas Wichtiges mit Mr. Burke zu besprechen. Ich überlege mir nur.« Sie sah Dave forschend an. »Dürfte ich Sie noch einen Augenblick länger aufhalten?«
    »Natürlich, Frau Gräfin.«
    »Ich möchte gern mit Ihnen sprechen. Unter vier Augen.«
    Hagerty lächelte. »Kümmern Sie sich nicht um mich. Ich habe noch mit einem Mann zu sprechen wegen eines Hundes.« Er erhob sich und ging auf den Ausgang zu.
    »Ja, Frau Gräfin?«
    »David, ich glaube, Sie wissen, warum ich heute morgen Mr. Burke aufgesucht habe.«
    »Ich glaube es zu wissen. Sie haben mir nur Mühe erspart, Frau Gräfin, da ich das gleiche vorhatte.«
    Sie schien nicht zu hören, was er sagte. »Offen gestanden, als Sonja heute früh mit mir sprach, war ich so aufgebracht, daß ich meinen Zorn kaum beherrschen konnte. Ich wollte es Ihnen auf die empfindlichste Weise heimzahlen, David. Mir erschien es unvorstellbar, daß jemand imstande sein sollte, den Umstand auszunützen, daß ein junges Mädchen in so rührender Weise auf die vulgären Seiten des Daseins vollkommen unvorbereitet ist.«
    »Was soll das heißen?«
    »Ach, ich weiß, was Sie denken. Natürlich war das die typische Entrüstung der Mutter. Ich habe wohl schon vergessen, wie das aussieht, wenn man jung und voller Leidenschaft ist. Irgendwie aber hätte ich von Ihnen mehr Verständnis, mehr Rücksicht erwartet. Eigentlich mache ich Ihnen keinen Vorwurf.«
    »Einen Augenblick, bitte! Was glauben Sie denn, was sich gestern nacht abgespielt hat?«
    »Bitte, David, sprechen wir nicht darüber. Sonja ist bereit, Ihnen zu verzeihen – ich bin es auch. In dem Augenblick, als ich Mr. Burkes Büro betrat, wußte ich, daß es dumm von mir war. Ich habe die Fotos mit keinem Wort erwähnt. Ich habe mir einen Vorwand für meinen Besuch ausgedacht. Sie brauchen sich also wegen unseres kleinen Geheimnisses keine Sorgen zu machen. Es ist bei mir gut aufgehoben.«
    »Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Was soll sich gestern nacht ereignet haben?«
    Die Gräfin stand auf. »Kein Wort mehr darüber! Wir wollen so tun, als wäre es nie passiert, David.« Sie lächelte hastig und drückte ihm fest die Hand. »Männer!« fügte sie nachsichtig lächelnd hinzu. »Ihr seid alle solche Rüpel, nicht wahr? Aber bitte, David, bitte, warten Sie, bis ihr verheiratet seid, ja?«
    Dann machte sie kehrt und ging weg.
    Dave saß wie versteinert da, als Homer Hagerty zurückkehrte.
    »Okay, Kermit hat jetzt Zeit für uns, Dave.«
    »Wie?«
    »Erwachen Sie aus Ihren Tagesträumen! Der Vorhang hebt

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