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Das graue distinguierte Leichentuch: Roman

Titel: Das graue distinguierte Leichentuch: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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italienischen Beschimpfungen. Das gesamte Kaffeehaus reagierte lärmend und begeistert auf diese Unterbrechung des täglichen Trotts – bis auf die beiden Kämpfenden. Nachdem der Schlag gefallen war, betrachteten sie einander gelassen.
    Dann rieb Ross sich das Kinn und sagte heiser zu Janey: »Gehen wir! Verlassen wir dieses Lokal!«
    Sie erhob sich rasch und nahm ihren Mantel von der Stuhllehne. Gemeinsam gingen sie zur Garderobe. Ross ließ sich von der Garderobiere, die die Augen weit aufriß, seinen karierten Mantel geben. Aber bevor sie zur Tür hinausgingen, drehte sich Janey plötzlich um und kehrte an den Tisch zurück.
    »Dave«, sagte sie leise.
    Ihr Blick war ruhig. Dave fühlte sich ermutigt. »Hör mal, Janey, ich bedaure diesen Auftritt, aber was ich gesagt habe, stimmt. Harlow weiß von dem Babytausch und hat die Gräfin davon unterrichtet.«
    »Gut.« Sie senkte zuerst den Blick und dann die Stimme. »Aber ich wollte dich etwas anderes fragen. War das ernst gemeint, was du heute früh sagtest? Im Büro.«
    »Was denn?«
    »Daß du mich heiraten willst.«
    Er schluckte. »Selbstverständlich!«
    »Ist es nicht üblich, seiner Verlobten einen Ring zu schenken?«
    »Janey, heißt das -?«
    »Schade, daß du mir keinen Ring geschenkt hast, Dave.« Sie blickte schnell auf, und ihre Augen sprühten hellere Funken als ein Brillant. »Damit ich ihn dir zurückgeben könnte!«
    Dann fuhr sie herum und gesellte sich zu Harlow, der an der Ausgangstür stand. Ohne sich umzuschauen, gingen die beiden weg.
    Dave setzte sich langsam. Die Kellnerin mit dem Pferdeschwanz näherte sich scheu und nahm das Geld vom Tisch. »Möchten Sie etwas bestellen?«
    »Ja«, sagte Dave. »Haben Sie Kaffee mit Zyankali?«

10
    Selbst dein bester Freund wird‘s dir nicht sagen
    »Das große, flache Paket!« sagte Homer Hagerty und lachte in sich hinein, während Dave das große, flache Paket unter seinem Arm zurechtrückte. »Das Kennzeichen des Werbefachmanns. Ich wüßte nicht, wie wir uns sonst erkennen sollten.«
    »Bleibt noch der distinguierte Flanellanzug«, erwiderte Dave.
    »Nein, heute nicht mehr. Wer fünfundsechzig Dollar verdient, trägt grauen Flanell. Heutzutage kann man einen Metzger nicht mehr von einem Reklamechef unterscheiden. Neunter Stock, bitte!« sagte er zum Liftführer.
    Nach weiteren zehn Sekunden befanden sie sich im äußeren Vestibül der ›Burke-Baby-Products-Company‹. Die Aufwärtsfahrt hatte weniger lange gedauert als der Weg über die zwanzig Meter grünen Teppichs, die zur Doppeltür der Direktionsräume führten. Dave paßte sich dem Schritt seines Chefs an und versuchte, sein Gehirn von den düsteren Gedanken zu befreien, die seinen Entschluß ins Wanken zu bringen drohten.
    Bei ihrem Eintritt setzte die Empfangsdame ein fluoreszierendes Lächeln auf.
    »Guten Morgen!« sagte sie munter. »Wie nett, die Herren wiederzusehen – Mr. Hagerty – Mr. Robbins.«
    »Guten Morgen«, erwiderte Hagerty. »Möchten Sie Mr. Burke mitteilen, daß wir da sind? Er erwartet uns.«
    Sie sagte etwas in das supermoderne Haustelefon und deutete dann lächelnd auf die roten Ledersessel, die an der Wand standen. Dave legte sein Paket auf den Fußboden und setzte sich.
    »Haben wir bestimmt alles mit?« fragte Hagerty. »Probeabzüge, Layouts, den Nielsen-Bericht?«
    »Alles«, erwiderte Dave vielsagend.
    Weitere fünf Minuten entschwanden in die Ewigkeit, bevor Kermit Burkes spektakuläre Sekretärin erschien.
    »Mr. Burke läßt sich vielmals entschuldigen«, sagte sie mit gutturaler Stimme und theatralischen Bewegungen, »aber es ist ihm etwas dazwischengekommen, das ihn eine Weile aufhält. Würden Sie so freundlich sein, ein paar Minuten zu warten?«
    »Auf ein paar Minuten kommt es uns nicht an«, erwiderte Hagerty. Als sie wegging, fügte er lächelnd hinzu: »Die junge Dame versteht es, groß aufzutreten.«
    »Ihr Abgang ist auch nicht schlecht.«
    »Ehrlich gesagt, ich bin froh, daß wir ein paar Minuten unter uns sind, Dave. Ich möchte gern eine persönliche Frage an Sie richten.«
    »Bitte, Mr. Hagerty.«
    »Es handelt sich um Janey.« Als er Daves Miene sah, lachte er in sich hinein. »Ich will mich nicht in Ihre Privatangelegenheiten einmischen, Dave, aber Sie wissen, wie sehr ich an Janey hänge. Was sie unglücklich macht, – na ja, das regt auch mich auf. Und ich habe den Eindruck, daß zwischen euch nicht alles in Ordnung ist.«
    »Das ist sehr gelinde ausgedrückt. Aber Sie dürfen ganz

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