Das graue distinguierte Leichentuch: Roman
Wettbewerb! Dann können wir der Öffentlichkeit erklären, warum wir die jetzige Kampagne eingestellt haben, daß wir sie nur gebraucht haben, um das Interesse zu wecken, bevor die richtige Serie einsetzt. Zugegeben, es ist ein bißchen dünn –«
»Was soll das für ein Wettbewerb sein?«
»Ein großes Tamtam – Sie wissen schon, was ich meine. Nur junge Ehepaare, die ihr erstes Kind bekommen haben, dürfen sich beteiligen. Der Zweck ist, das neue Burke-Baby auszusuchen. Wir setzen eine Menge Preise aus, aber der Haupttreffer besteht darin, daß das Kind in den Annoncen erscheint. Das läßt sich jedes Jahr wiederholen. Und müßte eigentlich sehr wirksam sein.«
Spiegel sah unglücklich drein. »Wollen Sie mich um mein tägliches Brot bringen? Schließlich ist es doch meine Aufgabe, Ideen zu haben.«
»Gefällt Ihnen mein Vorschlag nicht?«
»Doch zum Donnerwetter! Ja, ich halte ihn für brauchbar.«
»Dann bringen Sie ihn doch zu Papier! Eine kurze Skizze. Vielleicht eine Probeanzeige.«
»Wann?«
»Was – Sie sind noch nicht fertig?« Dave blinzelte. Dann lachte er, packte mit einem jähen Ausbruch guter Laune Spiegels Hosenträger, ließ sie schnellen und ging weg.
Aber wenige Minuten später war es aus mit der guten Laune. Er hatte ja nach wie vor den Abend vor sich – die Aussicht, Kronzeuge eines Mordes zu werden.
Er war viel zu nervös, um es in seinem Büro auszuhalten. Ziellos spazierte er zur Tür hinaus, aber mit entschlossenem Schritt. Er machte einen Abstecher in Janeys Zimmer und betrachtete ihre Pinnwand: Zeitungsausschnitte mit Reklamezeichnungen, die ihren Beifall gefunden hatten; gelungene Bilder aus den Sammelmappen der Fotografen; einen aus dem Art Annual herausgerissenen Picasso-Druck. Er empfand so etwas wie Zuneigung, nicht allein für Janey, sondern für alle die künstlerisch begabten jungen Menschen, die den Werbeagenturen ihr Talent zur Verfügung stellen, die draufgängerischen oder auch zurückhaltenden Leute, die sich bemühen, ein wenig Schönheit in eine rein kaufmännische Welt zu bringen, und die ersten sind, die höhnisch lachen, wenn man ihnen das unterstellt.
Er kam an den kleinen Boxen der Werbetexter vorbei, der schüchternen selbsternannten Elite, die mehr Stolz in die Erzeugnisse ihrer Gehirntätigkeit setzt, als sie zugeben will. Er kam an einer Zelle vorbei, die den einzigen Funk- und Fernsehfachmann der Agentur beherbergte, einen geplagten jungen Mann, der Variety las und den Jargon des Show-Business sprach und dessen Zirkusmanieren oft die Tatsache verdunkelten, daß er genau wußte, was er tat. Dave ging an der Forschungsabteilung vorbei und hörte murmelnde Stimmen eine akademische Diskussion über das Tiefen-Interview führen. Und überall erblickte er die bekümmerten Mienen der Sachbearbeiter, deren spezielles Martyrium darin besteht, daß sie von den Kunden unverschämt behandelt und von ihren Kollegen mißverstanden werden. Plötzlich glaubte Dave sein Herz für die Werbebranche zu entdecken. Es war kein erfreulicher Gedanke, daß seine Laufbahn vielleicht heute abend ein Ende nehmen würde.
Er vollendete den Rundgang durch die Büroräume und kehrte an seinen Schreibtisch zurück. Dort blieb er bis sechs Uhr sitzen und ging dann einsam in einem mäßig teuren Restaurant essen.
Um acht Uhr hielt er seine Verabredung mit Max Theringer ein. Max stand an der Bar und führte eine einseitige Debatte mit Gus. Als er Dave erblickte, grinste er breit und machte ihm auf dem benachbarten Hocker Platz.
»Alles in Ordnung?« fragte Theringer.
»Ich glaube, ja. Wo ist das Hotel, in dem Willie steckt?«
Theringer nickte zu der großen Glasscheibe mit den goldenen Lettern mooR ytiC . Auf der gegenüberliegenden Straßenseite flatterte eine ausgefranste grüne Markise im Wind über einer fünfstufigen Vortreppe. Die verblichene Aufschrift verkündete: Westmore Arms Hotel – Zimmer für Reisende und Dauergäste. Dave zählte sechs Stockwerke.
»›Das perfekte Arrangement««, sagte Theringer. »Von hier aus müssen wir jeden sehen, der das Hotel betritt. Wir brauchen nur Geduld zu haben.« Er musterte Dave mit zusammengekniffenen Augen. »Was fehlt Ihnen denn, lieber Freund? Sie sehen blaß aus.« »Ich fühle mich nicht wohl. Ich bin nicht ganz so überzeugt, daß das eine gute Idee war.«
»Ich bin bereit, mir eine bessere anzuhören. Worüber haben Sie sich zu beklagen? Meinen Sie, Hagerty wird sich nicht blicken lassen?«
»Doch – er wird kommen. Er
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