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Das Grauen im Bembelparadies (German Edition)

Das Grauen im Bembelparadies (German Edition)

Titel: Das Grauen im Bembelparadies (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Demant
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Herrn Schweitzer, die schon am Rad drehten, wenn sich das Abendessen um zwei Stunden verspätete.
    Doch noch war er ruhig, der Sachsenhäuser Detektiv. Er untersuchtedie Längsverriegelung des Tors. Sie war quadratisch und maß etwas mehr als einen Zentimeter pro Seite. Mit dem Schraubenzieher war nichts zu machen, alles war vernietet. Die Hebelwirkung hatte sich aber schon einmal bewährt. Herr Schweitzer ging ins Wohnzimmer und suchte nach einem passenden Stück. Ein Stahlrohrstuhl mit rotem Stoffbezug fiel ihm sofort ins Auge.
    Ein Stuhlbein passte gerade so hinter die Längsverstrebung. Dann stemmte sich Herr Schweitzer mit aller Kraft mit einem Fuß gegen das Tor und zerrte und zerrte mit dem Ergebnis, dass sich das Stuhlbein nach und nach zu einem V verzog. Ein Satz mit X, dachte er, ließ sich aber nicht unterkriegen.
    Die nächste halbe Stunde verbrachte er damit, alle möglichen Dinge als Hebel zu verwenden. Doch entweder zerbrachen sie oder verbogen sich. Tja, damals hat man noch viel mit Eisen gearbeitet, siehe Längsverstrebung, sinnierte Herr Schweitzer. Tunlichst unterließ er es, dem Tor abermals einen Tritt zu versetzen. Stattdessen sah er zu dem Fenster, durch das seine Leiter samt Seil entfleucht war. Dann zählte er die Holzkisten an der hinteren Wand, fast alle in unterschiedlicher Größe. Außerdem erinnerte er sich an einen Dokumentarfilm über den Bau der Pyramiden bei Kairo. So in etwa müsste ich hier auch vorgehen, überlegte er. Eine Rampe nach oben bauen. Was haben wir denn?
    Er ging ins Wohnzimmer und machte eine Bestandsaufnahme. Zwei Sofas, vier Sessel, jede Menge Stühle und die Kisten. Wenn ich an der gegenüberliegenden Ziegelsteinwand beginne, grübelte er, betrüge die Steigung 45 Grad. Zur Not könnte ich auch steiler bauen oder im Kreis. Sessel und Sofas am Anfang, denn ob ihrer Polsterung sind sie mehr als instabil und man kann nicht viele Kisten und Stühle darauf stapeln, auf denen man dann auch noch nach oben krabbeln soll. Ich bin ja kein Trapezkünstler.
    Die schweren Sachen zuerst. Zum Glück war die Tür zum Wohnzimmer breit genug. Ruckweise schaffte er die Sofas rüber. Herr Schweitzer war mächtig am Keuchen. Er legte eine fünfminütige Pause ein.
    Dann kamen die Sessel und Stühle an die Reihe. Die Statik musste berechnet werden. Andernfalls erginge es einem wie bei der Oper in Sydney – alles kracht zusammen, nur weil einer irgendwo ein Komma hinschrieb, wo keines hätte stehen dürfen. Es machte nämlich keinen Sinn, mit den Kisten anzufangen, und dann wüsste man nicht, wie man die Sofas hochwuchten sollte. Abgesehen davon, dass dann eh alles umfiele. Ebenso hirnrissig war es, einen Sessel auf einen Stuhl zu stellen.
    Herr Schweitzer hatte also mächtig zu tun, bevor es an die eigentliche Arbeit ging. Da er weder Block noch Stift zur Verfügung hatte, behalf er sich mit dem Schraubenzieher und dem staubigen Betonboden. In Ägypten hatte man da schon Papyrus erfunden.
    Die in arge Mitleidenschaft gezogene Leiche hatte er erfolgreich aus seinem Gedächtnis verbannt, als es an die Umsetzung seiner architektonischen Zeichnung ging.
    Der Teufelskerl schuftete wie ein Berserker. Beachtlich für einen, dessen ganzes Trachten tagein, tagaus dem Müßiggang gewidmet war. Aber nach anderthalb Stunden war Richtfest. Herr Schweitzer gönnte sich ein Bier. Sein Magen spielte mit. Bei dem, was er nun vorhatte, wirkte seine Aluminiumleiter-Abschleppseil-Aktion wie ein Kindergeburtstag, bei dem die Eltern Wasserpistolen aus Risikogründen verboten hatten.
    Die allerletzte Stufe, die mit dem Stuhl auf vier übereinander gestapelten Kisten, taufte er Eiger-Nordwand. Ihm wurde schon vom Raufgucken schwindelig. Zur Probe rüttelte er nochmals. Ein leichtes Schwanken, aber nicht so, dass Einsturzgefahr drohte. Das Leben auf dem pazifischen Feuerring dürfte auch nicht wesentlich gefährlicher sein, redete sich Herr Schweitzer gut zu.
    Los ging’s. Bis zum vierten Stock verlief alles ordnungsgemäß. Die leichte Brise, die vom Fenster hereinwehte, ließ Herrn Schweitzers Gedanken zurück zur Eiger-Nordwand wandern, wo gelegentliche Wetterumbrüche schon so manchen Tod bedeuteten. Er hatte den letzten Stuhl erklommen. Als er sich auf wackeligen Knien aufrichtete und nach unten schaute, fragte er sich, warumEntfernungen von oben nach unten stets mindestens doppelt so weit sind wie Entfernungen von unten nach oben. Kalter Schweiß brach aus ihm heraus. Noch viel langsamer als in

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