Das Grauen im Bembelparadies (German Edition)
seit jeher zugänglich. Doch wo hört Vernunft auf und fängt Verderben an? Und was war es, das das Geräusch verursacht hat? Er rief sich die Halle ins Gedächtnis. Der Schraubenzieher? Nein! Die Holzkisten? Quatsch, die scheppern nicht! Die andere Tür oder das große Tor gar? Nein, dazu hatte es viel zu viel leichtes Metall im Scheppern gehabt!
Leichtes Metall. Herr Schweitzer ließ sich diese zwei Worte auf der Zunge zergehen. Aber nicht in der Form, wie man sich eventuell Schokolade auf der Zunge zergehen lassen würde, mit viel Genuss also. Nein, eher so Richtung vor altem, ranzigem Fett triefender Küchenlappen. Denn leichtes Metall – da fiel HerrnSchweitzer so spontan nur die Aluminiumleiter ein und wie sie so senkrecht am Fenster lehnte, gehalten im Prinzip nur vom losen, nach innen baumelnden Abschleppseil, nachdem sein eigenes Gewicht den Boden erreicht hatte. Und sollte die mal umfallen, so würde es scheppern wie …
NEIN! Er öffnete die Tür, als wäre es beschlossene Sache und kein Mörder weit und breit.
Und siehe da: kein Mörder, worüber man sich ja nicht beschweren sollte.
Dafür aber auch keine Spur mehr von der Aluminiumleiter. Selbst das Abschleppseil hatte es komplett mit herausgezogen.
Konsterniert betrachtete Herr Schweitzer den kleinen Ausschnitt Sternenhimmel. Keine Spur Romantik überkam ihn bei diesem eigentlich herrlichen Anblick. Sein Fluchtweg war futsch. Einfach so. Eingesperrt mit einer stinkenden Leiche. Nichts zu trinken außer Alkohol. Wasser – nur über meine Leiche, so könnte nun die Leiche sagen. Handy, wie gesagt, bei Maria.
Das Paradies sieht anders aus, vermutete Herr Schweitzer. Und falls nicht, bleibt immer noch die Hölle. Und die unterschied sich wahrscheinlich nur unwesentlich von dem hier.
Mist, Mist, Mist, hätte ich doch nur ein Gewicht ans Seil gebunden, schimpfte er mit sich. Oder mich gar nicht erst eingemischt. Was muss ich bloß meine Nase immerfort überall reinstecken? Wie der letzte Depp, ich! Zu doof, einen Einkaufswagen zu lenken. Zu blöd, einen Eimer Wasser umzuschmeißen. Und wie weiland Dora Rutke, so trat auch Herr Schweitzer gegen das große Tor, nur eben von innen statt von außen.
Doch solcherlei unkontrollierte Wutausbrüche korrespondierten so gar nicht mit Herrn Schweitzers Ideal, alles mit Köpfchen zu lösen. Das sah er auch ein. Fast hätte er sich bei dem Tor entschuldigt.
Er ließ sich auf dem Boden nieder, um nachzudenken. Welche Möglichkeiten habe ich? Erstens könnte ich in diesen quasi hermetisch abgeriegelten Gemäuern versauern, verhungern und verdursten, was aber einem geschulten Geist wie meinem nicht gut zuGesicht stünde; ganz klar, die Welt erwartet mehr von mir. Zweitens könnte ich nach einem Ausweg aus dieser ausweglosen Situation suchen; auch ganz klar, das dürfte nicht ganz einfach werden.
Herr Schweitzer befand, einen Ausweg zu suchen sei besser als irgendwann demnächst so zu stinken wie die Leiche im Badezimmer. Zumal er ein sehr sensibles Näschen besaß. Die Schwachstellen in diesem Gefängnis waren das Tor und die Fenster. Nachteil Tor: ziemlich stabil. Nachteil Fenster: weit oben in luftiger Höhe.
Aber da war ja noch eine weitere Tür. Die, die vorhin nicht aufging. Herr Schweitzer stand auf und besah sie sich erneut. Dann holte er sich den einsamen Schraubenzieher. Wie durch ein Wunder war er wie geschaffen für die Schrauben an der Blende.
Dann ging alles rasend schnell. Die Blende fiel auf den Boden, ebenso die zwei Schrauben. Der Zylinder war zwar recht bockig, wurde aber von Herrn Schweitzer mit Hebelwirkung und Brachialgewalt in seine Schranken verwiesen. Ein kräftiger Tritt an den im Schloss verkeilten Schraubenzieher und siehe da: Sesam öffnete sich.
Von einem Erfolg durfte man aber nicht sprechen. Denn der mit so viel Hoffnung verbundene neuentdeckte Raum maß vielleicht zwei Quadratmeter. Toilettenschüssel und Waschbecken grinsten ihn hämisch an. Und doch war nicht alles schlecht. Herr Schweitzer probierte den Wasserhahn. Der erste Liter machte noch einen giftigen, weil rostbraunen Eindruck, aber danach wurde es rein und sauber. Quellfrisch sozusagen. Zumal in seinen Augen. Ein elendiges Verdursten war somit schon mal abgewendet. Versauern hing einzig und alleine von seiner Psyche ab. Blieb noch ein Verhungern. Hierzu sagt die Wissenschaft, der Mensch könne bis zu einem Monat ohne Nahrung auskommen. Was die Wissenschaftler aber vergessen hatten, waren Feldversuche an Personen wie
Weitere Kostenlose Bücher