Das Grauen im Bembelparadies (German Edition)
Herr Schweitzer so. Vor ihm stand ein kleiner Bembel. Diesen gab’s hier auch in der Halben-Liter-Ausgabe. „Putzig“, bemerkte er hierzu.
Der Rucksack stand an seinem Platz, nur von der Clique fehlte jede Spur. Es war schon acht durch. Herr Schweitzer fand das sehr merkwürdig. Bei einem bevorstehenden Wettkampf, bei dem es galt, den zweiten Platz vom Vorjahr zu verbessern, sollte man doch meinen, die Jungs würden sich wie die Weltmeister ins Zeug legen. Doch weit gefehlt. Mit einem Auge hatte er stets die angrenzende Halle im Visier gehabt, doch die mattweiße Schiebetür war von Anfang an geschlossen und blieb es auch. Kein einziges Ruderboot – nicht mal ein Einer – wurde zu Wasser gelassen oder aus selbigem gehievt. So wird das nichts mit dem Titel, dachte Herr Schweitzer.
Die Schatten wurden lang und länger. Die Zahl der Jogger, die am Main ihre Kilometer abspulten, nahm rapide ab. Auch die Gaststätten hatten sich bereits zur Hälfte geleert.
Maria machte gerade den Vorschlag, die Rechnung kommen zu lassen, als plötzlich Dora Rutke auftauchte. Händchenhaltend. Und mit wem?
Herr Schweitzer musste mehrmals hingucken. Es war jemand, der gestern nicht dabei war. Die Gesichter kannte er ja nur von den Fotos. Er hatte gewisse Defizite im Wiedererkennen von Gesichtern. Irgendwie sahen doch alle gleich aus. Zwei Augen, die gleiche Anzahl an Ohren, die Nase meist mittig und nach vorne gerichtet. Bei sich selbst war es einfacher. Herr Schweitzer kannte sich vom vielen Zähneputzen. Immerhin.
Aber Maria war ja auch noch da. Auch sie hatte sich natürlich des Oberkommissars Personenverzeichnis angesehen. Und der grübelnde Gesichtsausdruck ihres Liebsten sprach wieder mal Bände. „Das ist der Mike Chavez“, flüsterte sie.
Herr Schweitzer schaltete auf Aufnahme, noch bevor die beidenam Stammtisch Platz genommen hatten. „Ich weiß“, antwortete er nicht ganz wahrheitsgemäß. „Das ist ja wohl der Hammer. Kaum sind die letzten zwei Lover dahingeschieden, nimmt sich die Rutke schon einen neuen zur Brust.“ Er fand das moralisch ziemlich verwerflich. Aber was soll’s, sagte er sich, fing man erst einmal an, über die düstere Welt zu philosophieren, käme man so schnell aus dem Elend nicht wieder raus. Obendrein waren sämtliche Cliquenmitglieder an der Uni eingeschrieben. Das war Herrn Schweitzer bei der Durchsicht sofort ins Auge gesprungen. Intellektuelle womöglich. Und das sind meist die, die sich stets – und daher oft – eine Über-Gewichtung verleihen. Oder, so wie Dora augenscheinlich, den anderen lediglich eine untergeordnete Stellung zugestehen. Was aber prinzipiell dasselbe ist. Lover kommen und gehen. Lover sind wie Schall und Rauch. Sind zwei tot, nimmt man sich einfach den nächsten. So einfach ist das heutzutage.
„Mike Chavez?! Das ist doch der, der für Sebastian deWitte die Stelle im Ruderboot übernommen hat“, flüsterte er zu Maria gebeugt. „Das ist ja ein Ding. Dann hat dieser Chavez ja doppelt profitiert vom Tod Sebastians.“
In der Tat, Dora Rutke und Mike Chavez wirkten wie zwei frisch Verliebte. Sie hatten ihre Stühle zusammengerückt und Mike seine Arme um ihre Schultern gelegt. Ihre Blicke glitten über das sich leicht kräuselnde dunkle Wasser des Flusses. Eine Entenfamilie drehte in Ufernähe ihre Kreise. Er hauchte etwas in ihr Ohr, worauf Dora wie ein Backfisch zu kichern anfing.
Herr Schweitzer machte sich seinen Reim darauf. Worte verstand er leider keine. Er schob den Rucksack ein paar Zentimeter nach vorne und hoffte, dass das Mikrophon so gut war, wie Schmidt-Schmitt behauptet hat.
Der Kellner brachte zwei Cocktails an den Tisch, ohne vorher eine Bestellung aufgenommen zu haben. Chavez zahlte mit einem Zwanziger und bedeutete gönnerhaft mit der Hand, ohne den Mund aufzutun, der Rest sei Trinkgeld. Mit einer leichten Verbeugungdrehte sich der Kellner, übrigens ein anderer als gestern, um und schlurfte über den Kies davon.
„Der hat’s druff“, spottete Herr Schweitzer leise.
Maria: „Warum Weiber bloß immer auf solch ein Gehabe reinfallen, war mir schon als Teenie ein Rätsel.“ Fassungslos schüttelte sie den Kopf.
„Die Dora ist doch eh schizophren, wenn du mich fragst. Voll neben der Spur, die Frau. Auf Ecstasy die Nächte durchtanzen, aber beim Studium allererste Sahne. Ich frag mich, wie das geht.“
„Ist doch praktisch, so eine Schizophrenie. Da kriegst du vom Arzt gleich zwei Krankenscheine“, bemerkte Maria mit einem
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