Das Grauen im Bembelparadies (German Edition)
per Zeichensprache Zettel und Stift.
Hajo reichte ihm beides und Schmidt-Schmitt machte sich Notizen. „Na klar, wir fahren sofort hin“, sagte er abschließend.
„War unser Chef“, erklärte er kurz darauf. „Sebastian und Clareux hätten sich vor ein paar Monaten wie die Kesselflicker vor der Druckkammer gekloppt. Vielleicht ging es um Dora.“
„Hä, und wieso wissen wir nix davon?“, fragte Hajo.
„Isabell Sand hat es angeblich gestern erst von einem Kollegen erfahren. Das sei an einem ihrer freien Abende passiert.“
Hajo: „Und zu diesem Kollegen fahren wir jetzt?!“
„So ist es. Simon, da kannst du leider nicht mitkommen.“
„Schon okay“, wiegelte er ab. Aber enttäuscht war Herr Schweitzer schon. Wie sollte er denn den Fall lösen, wenn er immerfort draußen vor der Tür warten musste, fragte er sich. „Wo wohnt denn der Zeuge?“
„Ostend“, erklärte der Oberkommissar. „Wir können dich ja an der Alten Brücke rauslassen, dann brauchst du nur noch rüberlaufen.“
Während Herr Schweitzer über die Brücke schlenderte, versuchte er sich vorzustellen, wie sich erstens die beiden Kontrahenten wie die Kesselflicker gekloppt haben und zweitens, woher dieser Ausdruck überhaupt stammte. Gab es zu Zeiten der Kesselflicker nicht genügend Kessel zu flicken, so dass alle Kesselflicker von ihrer Arbeit satt wurden? Und waren die Zeiten so hart, dass sie sich um die paar zu flickenden Kessel wie die Kesselflicker prügeln mussten? Möglich. Dann mussten sich die Kesselflicker aber mit derart harten Bandagen gekloppt haben, dass es ihre Kloppereienin den Sprachgebrauch geschafft haben. Zumal damals ja auch deftige Wirtshausschlägereien als lustige Freizeitvergnügungen angesehen wurden und Kloppereien ganz allgemein noch nicht den miesen Ruf hatten wie heute, wo man schon strafrechtlich belangt werden kann, weil man seinem eigenen Kind eine Ohrfeige verpasst hat, nur weil es spaßeshalber – „wir wollten doch bloß mal gucken, wie hoch das Feuer brennt“ – das Nachbarhaus samt Bewohner abgefackelt hat.
Und dann fragte er sich natürlich auch, ob Dora Rutke bei der Klopperei anwesend war und wie sie sich gegebenenfalls verhalten hat. Aber nein, er durfte ja nicht mitkommen zur Befragung dieses Zeugen, haderte Herr Schweitzer abermals mit seinem Schicksal.
Guinness-Buch der Rekorde
Unwillkürlich hatten ihn seine Schritte zum Bembelparadies gelenkt. Vor dem Friseursalon in der Wallstraße, gerade als er zwischen zwei parkenden Autos die Straße überqueren wollte, wäre er um Haaresbreite einem Herzstillstand zum Opfer gefallen. Ohne ersichtlichen Grund hupte direkt neben ihm ein grauer Opel Corsa. Kiloweise peitschte das Adrenalin durch seinen Körper. Ein unmittelbar vor seinen Füßen einschlagender Komet hätte eine ähnlich elektrisierende Wirkung erzielt. Als die gefühlten 10.000 Volt nach einigen Sekunden abebbten, drehte er sich um und sah einen älteren Herrn – natürlich mit Hut – hinter der Windschutzscheibe, der enthusiastisch winkte und dabei freudig lächelte. Diese Geste galt aber nicht Herrn Schweitzer, sondern einer ältlichen Frau auf der anderen Straßenseite, die sich gerade anschickte, mit zwei vollen Plastiktüten die Bordsteinkante herunterzuklettern. Klettern – anders lässt es sich nicht beschreiben, denn mit ihren Krautstampferbeinen mühte sie sich mit dem kleinen Höhenunterschied ab wie ein neugeborenes Kalb beim erstenStehversuch. Als Herr Schweitzer den Grund des Hupens erkannte, schoss er gedanklich eine Maschinengewehrsalve durch die Windschutzscheibe. Nicht dass er grundsätzlich zum gewaltbereiten Teil der Menschheit gehörte, aber wenn ihm einer ans Leder wollte, kannte selbst er keinen Spaß. Wenn auch fahrlässig, so war das eben eindeutig ein nur knapp missglückter Totschlag. Nicht umsonst war Hupen innerstädtisch per Gesetz verboten, Gefahrensituationen ausgenommen.
Erneut durchflutete Adrenalin seinen Körper. Diesmal jedoch kam es von der Wut, nicht vom Schrecken. Mit einem Gesichtsausdruck, der selbst Bruce Willis eingeschüchtert hätte, drehte sich Herr Schweitzer um und ging die paar Meter zurück.
Da die Seitenscheibe trotz der Hitze geschlossen war, riss er die Fahrertür auf, beugte sich ins Wageninnere, krallte sich den Hemdkragen des verblüfften Rentners, zerrte dessen Kopf so nah an seinen eigenen, dass die Hutkrempe seine Stirn berührte, und hielt dem Übeltäter einen wissenschaftlich fundierten Vortrag über
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