Das Grauen im Bembelparadies (German Edition)
überflüssiges Hupen und seine möglichen Auswirkungen auf Menschen in unmittelbarer Nähe: „Hör zu, du kleines Arschloch“, nicht gerade höflich, aber Arschlöcher zu siezen war ihm nicht gegeben, „wenn du das nächste Mal wie ein Idiot hupst, wenn ich in der Nähe bin, breche ich dir so schnell das Genick, dass dir nicht mal Zeit für ein letztes Ave Maria bleibt. Kapiert?“
Zwar wusste der Atheist Herr Schweitzer nichts, aber auch rein gar nichts über Ave Marias – nicht eine einzige Zeile hätte er rezitieren können –, aber er fand, es klang angemessen.
Der ältere Herr wiederum machte den Eindruck, als sei er durchaus bibelfest: „Mein Gott!“
„Heinrich!“, schallte es quer über die Straße aus dem Mund der Krautstampfer-Frau. Immerhin hatte sie stampfend schon zwei Meter zurückgelegt. „Was ist los? Kennst du den Herrn?“
Noch immer diskutierten sie Nasenspitze an Nasenspitze. Herr Schweitzer: „Ich fragte, ob du das kapiert hast?“
„Mein Gott!“ Inzwischen hatten die Augen des Todesängsteausstehenden Rentners fast die Größe alter Fünf-Mark-Münzen erreicht.
„Mehr fällt dir nicht ein?“, erkundigte sich Herr Schweitzer höflich.
Heinrich: „Jesus!“
Ob dieser Aussage musste der Sachsenhäuser Detektiv lachen, was aber seiner einschüchternden Autorität immens abträglich war.
Jesus
hatte ihn in die Wirklichkeit zurückgeholt. Plötzlich sah er sich selbst. Er ließ den Hemdkragen los. Jesus, der erste namentlich erwähnte Hippie der Geschichte – lange Haare, machte mit Huren rum (Maria Magdalena) und nahm Drogen, die ihn glauben ließen, auf Wasser wandeln zu können –, wäre stolz auf ihn gewesen.
„Nichts für ungut“, verabschiedete sich Herr Schweitzer und klopfte dem Rentner auf den Oberarm.
Wäre Herr Schweitzer in Lateinamerika aufgewachsen, hätte es diesen Zwischenfall nie gegeben. Dort nämlich gehört Hupen zum guten Ton, ist quasi aus dem Straßenverkehr nicht wegzudenken. Im Gegensatz zu defekten oder gänzlich abgefallenen Auspuffen ist dort eine defekte Hupe der Hauptgrund für einen Werkstattbesuch, noch weit vor zersplitterten Frontscheiben, kaputten Scheinwerfern oder unzureichend funktionierenden Bremsen. Denn ohne Hupe ist der Lateinamerikaner sprachlos. Gilt es doch, mit diesem Instrument Nachbarn, Verwandte und Freunde zu grüßen, Frauen auf sich aufmerksam zu machen, mit weit überhöhter Geschwindigkeit durch Ortschaften zu brettern oder einen weit entfernten Verkehrsteilnehmer vor einer wenn auch noch so unwahrscheinlichen Gefahrensituation zu warnen. Da in diesen Gefilden nur wenige Häuser oder Wohnungen mit Klingeln ausgestattet sind, übernimmt die Hupe auch diesen Zweck. Mit anderen Worten: Bewohner von Ortschaften mit mehr als zwanzig Gebäuden und den obligatorischen Kirchen sind bis auf die paar Stunden nach Mitternacht stets von einem Hupkonzert umgeben, so dass sich der Lateinamerikaner automatisch umgucktund nach einem Grund für den Weltuntergang sucht, sollte tatsächlich mal für dreißig Sekunden Ruhe herrschen.
Herr Schweitzer jedoch war nicht in Lateinamerika aufgewachsen und mit sinnloser Huperei vertraut. Und als er einen hellblauen Übertragungswagen des Hessischen Rundfunks ein paar Meter weiter rechts erblickte, glaubte er zuerst, das Fernsehen sei wegen ihm und seines gerade noch rechtzeitig unter Kontrolle gehaltenen Wutausbruchs hier. Doch bis auf einen kreidebleichen Rentner und einen kurzzeitigen Herzstillstand seinerseits war ja nichts passiert. Kein Grund zur Panik also, dachte er noch, ehe er den Auflauf vorm Bembelparadies registrierte.
Sein erster Gedanke war, in Monis Brennofen habe man eine weitere Schrumpelleiche gefunden. Mit sich überschlagenden Gedanken näherte sich Herr Schweitzer dem Laden. Dem Gesetz der Serie folgend dachte er an Mike Chavez als aktuelles Opfer. In diesem Fall wohl eher
brandaktuell
.
Beim Näherkommen jedoch bemerkte er eine ausgelassene, ja fast schon übermütig heitere Stimmung, die doch arg im Widerspruch zu Leichen jedweder Art stand, so dass er diesen Gedanken schnell wieder zu den Akten legte.
Kurz darauf entdeckte Herr Schweitzer Moni, Adam und einen weiteren Herrn, wie sie sich vor einem Pritschenwagen, auf dem ein überdimensionierter Bembel thronte, einem guten Dutzend Fotografen stellten und ein Lächeln auf ihr Gesicht zauberten, als habe die Eintracht gerade die Meisterschaft errungen. (Okay, das war jetzt sehr weit hergeholt. Nur die wenigsten wissen
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