Das Grauen im Museum
Persönlichkeit führen. Doch Panfilo de Zamacona forderte schließlich doch das Schicksal heraus, das man ihm in so düsteren Farben ausgemalt hatte. Sicher hoffte er, es werde ihm schließlich doch erspart bleiben, aber der nervöse letzte Teil seiner Handschrift läßt erkennen, daß er bereit war, das Risiko auf sich zu nehmen. Was ihn zum Schluß doch noch hoffen ließ, unversehrt aus K’n-yan entkommen zu können, war seine zunehmende Beherrschung der Kunst der Entmaterialisierung. Nachdem er sie jahrelang studiert, und dadurch, daß sie zweimal an ihm selbst ausgeübt wurde, noch mehr über sie erfahren hatte, vertraute er zunehmend auf seine Fähigkeit, sie selbst erfolgreich anzuwenden. Das Manuskript beschreibt mehrere bemerkenswerte Experimente in dieser Kunst -kleinere, in seiner Wohnung erzielte Erfolge und spiegelt Zamaconas Hoffnung wider, er könne schon bald in der Lage sein, sich gänzlich in reine Energie aufzulösen, damit vollständige Unsichtbarkeit zu erlangen und diesen Zustand so lange aufzurechtzuerhalten, wie er wollte.
Hatte er dieses Stadium einmal erreicht, so überlegte er, würde ihm der Weg nach draußen offenstehen. Natürlich würde er kein Gold mitnehmen können, aber schon längst erschien ihm die Flucht allein auch als erstrebenswertes Ziel. Allerdings würde er sein Manuskript in dem Tulu-Zylinder mitnehmen und ebenfalls entmaterialisieren, obwohl dies zusätzliche Mühe kosten würde, denn sein Bericht mußte um jeden Preis an die Außenwelt gelangen. Er kannte den Gang, den er benutzen mußte, und wenn er dies im Zustand der Auflösung in Atome bewerkstelligen konnte, würde nichts und niemand ihn aufhalten können. Die einzige Schwierigkeit war, diesen Zustand lange genug aufrechtzuerhalten. Dies war, wie seine Experimente ihn gelehrt hatten, die eine Gefahr, mit der er rechnen mußte, aber mußte man in einem abenteuerlichen Leben nicht jederzeit den Tod und Schlimmeres riskieren? Zamacona war ein Adliger aus dem alten Spanien, ein Sproß vom Stamme derer, die sich der unbekannten Kultur der Neuen Welt furchtlos gestellt und einem großen Teil von ihr eine neue Kultur gegeben hatten.
Nächtelang betete Zamacona nach seinem endgültigen Entschluß zum heiligen Panfilus und anderen Schutzheiligen und zählte die Perlen seines Rosenkranzes. Der letzte Eintrag in dem Manuskript, das zum Ende hin immer mehr die Form eines Tagebuchs annahm, war ein einziger Satz: »Es mas tarde de loque pensaba — tengo que marcharme«… »Es ist später, als ich dachte; ich muß gehen.« An dieser Stelle brach das Manuskript ab, und man war auf Vermutungen angewiesen und auf die Schlußfolgerungen, die sich aus der Existenz des Manuskripts an sich ergaben oder noch ergeben mochten.
Als ich, ganz benommen vom Lesen und Übersetzen, zum erstenmal aufschaute, stand die Morgensonne schon hoch am Himmel. Die elektrische Lampe brannte noch, aber solche Gegenstände der realen Welt der Außenwelt unserer Tage -waren mir völlig fremd. Ich wußte, daß ich mich in meinem Zimmer bei Clyde Compton in Binger befand, aber auf welch monströse Geschichte war ich da gestoßen? War dieses Manuskript ein übler Scherz oder die Chronik eines Wahnsinnigen? Und falls es ein schlechter Scherz war, stammte er dann aus dem 16. Jahrhundert oder aus meiner Zeit? Das Alter der Handschrift wirkte für meine nicht ungeübten Augen bestürzend echt, und über das Problem, vor das mich die merkwürdige Metallhülse stellte, wagte ich nicht einmal nachzudenken.
Doch damit nicht genug welch gespenstisch exakte Erklärung enthielt das Manuskript doch für all die rätselhaften Erscheinungen im Zusammenhang mit dem Hügel, für die scheinbar sinnlosen und paradoxen Handlungen bei Tag und bei Nacht umgehender Geister und für die rätselhaften Fälle, in denen Menschen verschwunden oder wahnsinnig geworden waren! Es war sogar eine auf diabolische Weise einleuchtende, in sich schlüssige Erklärung, sofern man bereit war, das Unglaubliche zu akzeptieren. Es mußte sich um einen aufgelegten Schwindel von jemandem handeln, der all die Geschichten im Zusammenhang mit dem Hügel kannte. Es war sogar etwas wie Gesellschaftssatire in dem Bericht von dieser unglaublichen, unterirdischen Welt des Schreckens und Verfalls. Sicherlich handelte es sich um die geschickte Fälschung eines gebildeten Zynikers, etwas wie die bleiernen Kreuze, die ein Spaßvogel in New Mexico vergrub und dann als angebliche Überreste einer europäischen
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