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Das Grauen in den Bergen

Das Grauen in den Bergen

Titel: Das Grauen in den Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Ink
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auf mich. Vielleicht war meine Krankheit nicht gänzlich besiegt und die übermäßige Beschäftigung mit morbiden Dingen ließ sie erneut aufleben. Wie auch immer, es war klar, dass eine Verlängerung meines Aufenthalts allenfalls Schwierigkeiten mit sich bringen würde.
    Und dennoch …
    »Ich kann nicht«, hörte ich mich flüstern. Das Rätsel war nicht gelöst, der Schleier verblieb ungelüftet. Verdammte coldlowe’sche Hartnäckigkeit! Dass es mich bereits gepackt haben könnte, jenes Ding hinter dem Gipfel, daran dachte ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Oder es ließ mich nicht daran denken.
    Mrs. Pickman sah mich lange an. Sorgenfalten bildeten sich auf der ohnehin gefurchten Stirn. »So sei es denn«, seufzte sie. »‘s ist wohl das Schicksal Ihrer Sippe.«
    Als ich sie genauer musterte, kam mir die Frau mit einem Mal sehr müde vor. Nicht müde vom Alter – das war sie sicherlich auch –, sondern erschöpft. Die Augenringe waren dunkler und breiter geworden, der Blick glasig, die Haltung gebeugt und zittrig.
    »Was haben Sie getan, während ich bewusstlos war?«
    Eine Reihe von Emotionen huschte über ihr Gesicht. Ich fühlte mich sofort daran erinnert, wie sie mit dem Buch unterm Arm vor mir gestanden hatte.
    »Ich …? Ach, nichts Wicht’ges. Arbeit. Holz hacken, das Vieh versorgen … es is‘ anstrengend, wenn man all’s allein machen muss.«
    Ich ahnte, dass sie mir nicht mehr verraten würde. Also fragte ich stattdessen: »Wie komme ich auf dem schnellsten Weg in die Stadt? Gibt es in der Nähe ein Telefon, damit ich den Bus rufen kann?«
    Mrs. Pickman verblüffte mich, als sie überraschend lächelte. In der flüchtigen Geste war das hübsche Mädchen zu erahnen, das sie einst gewesen sein musste und das schon vor langer Zeit von den Bergen zermalmt worden war.
    »Sie könnt’n mein Automobil nehmen, wenn Sie woll’n. ‘s steht im Stall.«
     
    ***
     
    Eine halbe Stunde später saß ich entgegen Mrs. Pickmans schärfstem Protest in dem Wagen.
    »Ich meinte nich‘ sofort! Sie müssen sich erst von dem Schlag erhol’n!«
    »Ach, es wird schon gehen«, beschwichtigte ich sie.
    Das Automobil war ein altes Modell, aus den Kindertagen jenes Fortbewegungsmittels. Man musste es mit einer Kurbel anlassen, die vorne in den Motor gesteckt wurde. Doch ungeachtet der auf seinem metallenen Skelett lastenden Jahre schien es prächtig zu funktionieren.
    Das Zwielicht verblasste, als ich aus der Scheune heraustuckerte. Der Abend dämmerte, doch das hielt mich nicht auf. Ich konnte die nagenden Fragen nicht einfach auf morgen verschieben. Außerdem fürchtete ich mich vor den Träumen, die eine weitere Nacht in dem Dorf mit sich bringen könnte.
    Als ich die Weide mit den Rindern passierte, war mir, als hätte sich die Anzahl der Tiere reduziert. Mrs. Pickman schielte ebenfalls zu den vier Kühen hinüber, ehe sie mir mit grimmiger Miene zum Abschied winkte. Ich verwarf den Gedanken an die Rinder aber bald wieder, da mir die Pläne für den nächsten Tag im Kopf herumspukten.
    Ich hatte vor, mir in der Stadt ein Bett zu nehmen (der Schrank im geheimen Zimmer enthielt mehr als genug Geld für solche Extravaganzen) und am nächsten Tag in aller Frühe die Bibliothek aufzusuchen, um dort in sämtlichen Büchern zu stöbern, die etwas mit Fremdsprachen und Verschlüsselungscodes zu tun hatten. Bevor ich mir allerdings ein Zimmer suchte, wollte ich noch etwas anderes erledigen.
    Auf dem Beifahrersitz lagen zwei Dinge: Zum einen die Tasche mit dem Buch meines Vaters – Mrs. Pickman hatte sie nicht angerührt und mir obendrein geschworen, dass sie nie wieder versuchen würde, den Text an sich zu nehmen – sowie ein Paket, das mehrere der Blaupausen und technischen Zeichnungen aus dem Schreibtisch enthielt. Ich hatte mir einige Abbildungen herausgesucht, die ich für besonders verstörend und aussagekräftig hielt, diese gefaltet, ein erklärendes Schreiben beigelegt und alles in eine an Edward Blake adressierte Schachtel gepackt.
    Du kennst Edward Blake nicht, glaube ich. Und du wirst ihm auch nie gegenüberstehen, denn selbstverständlich ist das nicht sein wahrer Name. Ich lernte ihn bei meinem letzten Aufenthalt im Sanatorium kennen. Wie du weißt, liegen Genie und Wahnsinn oftmals nah beieinander, Magdalene. Bei Edward Blake war das Eine in das Andere umgeschlagen. Er ist ein Gelehrter durch und durch, unterrichtete Architektur, Mathematik und Geschichte an der Universität einer Stadt, die hier nicht genannt

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