Das Graveyard Buch
Scarlett machte ein zweifelndes Gesicht. »Du weißt doch gar nicht, wo es so ein Hünengrab gibt, oder? Und außerdem kann ich ja nicht überallhin, wo du hi n gehst.« Sie hatte nämlich gesehen, wie Bod durch Wände ging wie ein Schatten.
Als Antwort hob Bod einen großen verrosteten Eise n schlüssel hoch. »Den habe ich in der Kapelle g e funden«, sagte er. »Der dürfte für die meisten Tore hier passen. Sie benutzen für alle denselben Schlüssel. Das war weniger Arbeit.«
Sie lief neben ihm den Hang hinauf.
»Stimmt das auch wirklich?«
Er nickte und ein zufriedenes Lächeln spielte um seine Lippen. »Komm«, sagte er.
An diesem wunderschönen Frühlingstag war die Luft von Vogelgesang und Bienengesumm erfüllt. Die Oste r glocken wiegten sich im Wind, während hier und da schon die ersten Tulpen ihre Köpfchen reckten. Tupfer von bla u en Vergissmeinnicht und gelben Schlüsselbl u men stachen aus dem Grün des Hügels hervor, den die beiden Kinder auf dem Weg zum Grabmal der Frobisher hinaufgingen.
Es war ein kleiner schlichter Bau, ein kleines verge s senes Steinhaus mit einem schmiedeeisernen Gitter vor dem Eingang. Bod schloss mit seinem Schlüssel auf und sie gingen hinein.
»Es ist ein Loch«, sagte Bod. »Oder eine Tür. Hinter einem Sarg.«
Sie fanden den Zugang hinter einem Sarg auf dem u n tersten Sims, eine Öffnung zum Hineinkriechen. »Da ru n ter«, sagte Bod. »Wir gehen da runter.«
Scarlett fand das Abenteuer plötzlich gar nicht mehr so lustig. »Da unten sieht man ja gar nichts. Es ist stoc k du n kel.«
»Ich brauche kein Licht«, sagte Bod. »Nicht solange ich auf dem Friedhof bin.«
»Aber ich«, sagte Scarlett. »Da drin ist es dunkel.«
Bod überlegte, was er zu ihrer Beruhigung sagen könnte, zum Beispiel: »Da unten ist nichts Schli m mes.« Doch nach den Geschichten von Leuten, deren Haare schneeweiß geworden oder die nie mehr z u rückgekehrt waren, hätte er kein gutes Gewissen gehabt dabei, de s halb sagte er: »Ich geh allein hinunter und du wartest hier auf mich.«
Scarlett runzelte die Stirn. »Du kannst mich doch nicht allein lassen.«
»Ich geh hinunter«, wiederholte Bod, »und schau nach, wer da unten ist. Dann komme ich zurück und e r zähl dir alles.«
Er trat an die Öffnung heran, bückte sich und kroch auf allen vieren hinein. Er befand sich in einem Stollen, in dem man gerade stehen konnte. Vor ihm waren Stufen in den Stein gehauen. »Ich geh jetzt die Stufen hinunter«, rief er.
»Geht es weit hinunter?«
»Es sieht so aus.«
»Wenn du mich bei der Hand nehmen und mir sagen würdest, wo es langgeht, dann könnte ich mi t kommen. Wenn du aufpasst, dass mir nichts pa s siert.«
»Klar«, sagte Bod. Kaum hatte er das gesagt, zwängte sich das Mädchen ebenfalls auf allen vieren durch das Loch.
»Hier kannst du stehen«, sagte ihr Bod. Er nahm sie bei der Hand. »Hier fangen die Stufen an. Wenn du einen Schritt nach vorn machst, findest du sie. Ich geh jetzt voraus.«
»Kannst du wirklich etwas sehen?«, fragte sie.
»Es ist dunkel«, sagte Bod, »aber ich sehe alles.«
Er führte Scarlett die Stufen hinunter und b e schrieb ihr genau, was er sah. »Es geht weiter nach unten«, sagte er. »Alles ist aus Stein, auch das Gewö l be über uns. Da hat jemand ein Bild an die Mauer gemalt.«
»Was für ein Bild?«
»Ein großes haariges K wie Kuh, glaube ich. Mit Hö r nern . Dann irgendwas, das eher aussieht wie ein Muster. Wie ein großer Knoten. Es ist auch irgendwie in den Stein geritzt, nicht nur gemalt, siehst du?« D a bei nahm er ihre Hand und legte sie auf das behauene Knotengebilde.
»Ich kann es fühlen«, sagte sie.
»Die Stufen werden jetzt höher. Wir kommen in einen größeren Raum. Vor uns sind immer noch St u fen. Beweg dich nicht. Gut, jetzt steh ich zwischen dir und der Ka m mer. Lass deine linke Hand immer an der Mauer.«
Sie stiegen weiter nach unten. »Noch eine Stufe, dann sind wir auf dem Felsboden«, sagte Bod. »Es ist ein bis s chen uneben.«
Die Kammer war nicht groß. Auf dem Boden lag eine Steinplatte, in einer Ecke befand sich ein Sims mit ve r schiedenen kleinen Gegenständen. Und Kn o chen lagen auf dem Boden, sehr alte Knochen, nur am Treppena b satz sah Bod einen verschrumpelten Toten in einem la n gen braunen Mantel – offenbar der junge Mann, der von Schätzen geträumt hatte. Er musste wohl im Dunkeln ausgerutscht und gestürzt sein.
Mit einem Mal raschelte etwas in ihrer Nähe, ein G e räusch wie von
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