Das Graveyard Buch
werden.
Als Silas den Friedhof verlassen hatte, um seinen G e schäften nachzugehen, ging Bod zu der Weide u n weit der Kapelle und rief nach Caius Pompeius.
Der alte Römer erhob sich gähnend aus dem Grab. »Ah, der lebende Junge«, sagte er. »Wie geht es dir, mein Junge?«
»Mir geht es gut, Sir«, sagte Bod.
»Das höre ich gem.« Das Haar des alten Römers schimmerte fahl im Mondlicht. Unter der Toga, in der man ihn zur letzten Ruhe gebettet hatte, trug er ein wo l lenes Unterhemd und Beinlinge, denn dieses Land gehö r te zu den kalten Ländern am Rande der Welt und nur Cal e donia hoch im Norden war noch kälter. Die Bewo h ner dort glichen eher wilden Tieren als Menschen, trugen einen orangefarbenen Pelz und gebärdeten sich so wild, dass sogar die Römer ihrer nicht Herr wurden. Deshalb würde man bald einen Wall errichten, um sie ihrem i m merwährenden Wi n ter zu überlassen.
»Bist du der Älteste«, fragte Bod.
»Der Älteste auf dem Friedhof? Ja, das bin ich.«
»Dann bist du als Erster hier begraben worden?«
Ein kurzes Zögern. »Fast. Vor den Römern lebte ein anderes Volk auf dieser Insel. Einer von ihnen lag hier schon begraben.«
»Oh.« Bod dachte einen Augenblick lang nach. »Wo ist denn sein Grab?«
Caius zeigte den Hügel hinauf.
»Er liegt also da ganz oben.«
Caius schüttelte den Kopf.
»Was dann?«
Der alte Römer strich Bod über das Haar. »Im Hügel. Im Hügel drin«, sagte er. »Meine Freunde h a ben mich zuerst hierhergebracht, ihnen folgten die hiesigen Bea m ten und die Mimen mit den Totenma s ken von meiner Frau, die in Camulodonum am Fi e ber starb, und der von meinem Vater, der bei einem Grenzgefecht in Gallien fiel. Dreihundert Jahre nach meinem Tod stieß ein Bauer, der neue Weideflächen für seine Schafherde suchte, auf den Felsbrocken, der den Grabeingang verdeckte. Er rol l te ihn weg und stieg hinunter, weil er dort einen Schatz vermutete. Als er wieder ans Tageslicht trat, waren seine dun k len Haare so weiß wie meine.«
»Was hat er da unten gesehen?«
Caius sagte nichts, er hatte nie darüber gesprochen. Oder jemals wieder an diesen Ort zurückke h ren wollen. »Er hat nie etwas gesagt. Man schob den Felsbrocken wieder vor den Eingang und mit der Zeit geriet alles in Vergessenheit. Zweihundert Jahre sp ä ter stieß man beim Bau der Familiengruft der Frobisher wieder auf den Ei n gang. Der junge Mann, der die Stelle entdeckt hatte, träumte davon, irgendwe l che Reichtümer zu finden. Deswegen hat er niema n dem etwas davon erzählt und den Eingang hinter Ephraim Pettyfers Sarg versteckt und ist dann eines Nachts hineingegangen. Unbemerkt. Z u mindest dac h te er das.«
»War sein Haar auch weiß, als er wieder hoc h kam?«
»Er kam nicht wieder hoch.«
»Uff. Oh. Wer liegt dann da unten begraben?«
Caius schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht, Owens junior. Aber ich habe ihn gespürt damals, als der Friedhof noch leer war. Ich habe gespürt, wie da tief u n ten etwas wartete.«
»Worauf wartete es?«
»Ich habe nur das Warten gespürt«, sagte Caius.
Scarlett hatte ein großes Bilderbuch mitgebracht. Sie saß neben ihrer Mutter auf der grünen Bank unweit der Pfo r te und las in ihrem Buch, während sich ihre Mutter in eine Beilage zum Thema Erziehung vertie f te. Sie genoss die Frühlingssonne und bemühte sich, den kleinen Ju n gen nicht zu beachten, der ihr erst hinter einem efeub e wachsenen Grabmal zuwinkte. Dann, als sie sich en t schloss, nicht mehr länger dor t hin zu schauen, sprang der Junge im wahrsten Sinne des Wortes wie ein Springte u fel hinter einem Gra b stein hervor (Joji G. Shoji, gest. 1921, Ich war ein Fremder bei euch und ihr habt mich aufgeno m men). Er gestikulierte wild. Doch sie beachtete ihn nicht.
Schließlich legte sie ihr Buch auf die Bank.
»Mama, ich geh mal ein bisschen spazieren.«
»Aber bleib auf dem Weg, Schatz.«
Sie blieb auf dem Weg, bis sie um die Ecke gebogen war. Dann sah sie Bod, der ihr weiter oben vom H ü gel aus zuwinkte. Sie schnitt ihm ein Gesicht.
»Ich habe einiges herausgefunden«, verkündete Sca r lett.
»Ich auch«, sagte Bod.
»Vor den Römern war schon wer anderes hier«, sagte sie. »Das ist lange her. Sie haben hier gelebt, und wenn sie gestorben sind, hat man sie in diesem Hügel mit i r gendwelchen Schätzen und Sachen begraben. Diese Gr ä ber nennt man Hünengräber.«
»Aha«, machte Bod. »So ist das also. Willst du dir mal eins anschauen?«
»Jetzt?«
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