Das Graveyard Buch
vor.
»Wie alt bist du denn?«, fragte das Mädchen. »Was machst du hier? Wohnst du hier? Wie heißt du?«
»Ich weiß es nicht.«
»Du weißt nicht, wie du heißt?«, fragte das Mä d chen. »Natürlich weißt du das. Jeder weiß, wie er heißt, du Schwindler.«
»Ich weiß schon, wie ich heiße«, sagte Bod. »Ich weiß auch, was ich hier mache. Aber das andere weiß ich nicht.«
»Du meinst, wie alt du bist?«
Bod nickte.
»Also«, sagte das Mädchen. »Wie alt warst du, als du das letzte Mal Geburtstag hattest?«
»Hatte ich nicht«, sagte Bod. »Hatte ich noch nie.«
»Wie? Jeder hat doch Geburtstag. Du meinst, du hast noch nie einen Geburtstagskuchen gekriegt, mit Kerzen und so?«
Bod nickte. Das Mädchen sah ihn mitfühlend an. »Du Ärmster. Ich bin fünf. Ich wette, du bist auch fünf.«
Bod nickte begeistert. Er wollte sich nicht mit seiner neuen Freundin streiten. Sie machte ihn glüc k lich.
Sie hieß Scarlett Amber Perkins, erzählte sie ihm, und sie wohnte mit ihren Eltern in einer Wohnung ohne Ga r ten. Ihre Mutter saß auf einer Bank am Fuß des Hügels und las eine Zeitschrift. Sie hatte Scarlett gesagt, sie solle in einer halben Stunde wieder zurück sein. In der Zw i schenzeit solle sie sich ein bisschen bewegen, keine Dummheiten machen und nicht mit Fremden reden.
»Aber ich bin ein Fremder«, gab Bod zu bedenken.
»Bist du nicht«, sagte sie bestimmt. »Du bist ein kle i ner Junge.« Und dann sagte sie: »Und du bist mein Freund. Also kannst du kein Fremder sein.«
Bod lächelte nur selten. Aber jetzt lächelte er, breit und voller Freude. »Ich bin dein Freund«, sagte er.
»Und wie heißt du?«
»Bod. Das ist die Abkürzung von Nobody.«
Jetzt lachte das Mädchen. »Komischer Name«, sagte sie. »Und was machst du hier?«
»Ich lerne das ABC«, antwortete Bod. »Ich schreibe Buchstaben von den Grabsteinen ab.«
»Darf ich mitmachen?«
Bod wollte schon abwehren – die Grabsteine waren schließlich seine, oder nicht ? –, aber dann merkte er, wie albern das war. Außerdem dachte er, dass es vie l leicht Sachen gab, die draußen in der Sonne und z u sammen mit einem Freund mehr Spaß machten. Also sagte er Ja.
Gemeinsam schrieben sie Namen von Grabsteinen ab, Scarlett half Bod bei der Aussprache ungewöhnl i cher Namen und Bod sagte Scarlett, was die lateinischen Wö r ter bedeuteten, wenn er sie schon kannte. »Scarlett«, scholl plötzlich eine Stimme von unten herauf.
Das Mädchen gab Bod die Buntstifte und das Blatt Papier zurück. »Ich muss gehen«, sagte sie.
»Bis zum nächsten Mal, oder?«, sagte Bod.
»Wo wohnst du denn?«, wollte sie wissen.
»Na hier«, antwortete Bod.
Auf dem Heimweg erzählte Scarlett ihrer Mutter von dem Jungen namens Nobody, der auf dem Frie d hof wohnte und mit dem sie gespielt hatte. Noch am selben Abend redete Scarletts Mutter mit ihrem Mann darüber. Der meinte, Fantasiefreunde zu haben, sei in diesem A l ter etwas ganz Normales, da brauche man sich überhaupt keine Sorgen zu m a chen. Sie könnten sich glücklich schätzen, ein Natu r schutzgebiet gleich in der Nähe zu haben.
Nach dieser ersten Begegnung kam es nie wieder vor, dass Scarlett Bod zuerst sah. Wenn es nicht re g nete, ging ein Elternteil mit ihr zum Friedhof. Wä h rend der Vater oder die Mutter sich auf eine Bank setzte, um zu lesen, ging Scarlett, ein Tupfer leuc h tendes Grün, Orange oder Rosa, zwischen den Gr ä bern auf Entdeckungsreise. Es dauerte nicht lange und ein paar graue Augen unter e i nem Schopf mau s grauer Haare schauten sie an. Dann spielten sie und Bod Verstecken oder sie kletterten i r gendwo herum oder sie beobachteten ganz still die K a ninchen hinter der alten Kapelle.
Bod stellte Scarlett seinen anderen Freunden vor. Dass sie diese Freunde nicht sehen konnte, machte gar nichts. Ihre Eltern hatten ihr schon ein paarmal gesagt, dass es Bod nur in ihrer Fantasie gebe und dass das überhaupt nicht schlimm sei. Ihre Mutter hatte sogar mehrere Tage lang darauf bestanden, bei Tisch ein Gedeck für Bod au f zulegen. Es überraschte sie also nicht, dass Bod ebenfalls Fantasiefreunde ha t te. Er übermittelte ihr, was sie sagten:
»Bartleby sagt: ›Diese Jungfrau hat ein Gesicht wie eine zermatschte Pflaume.‹«
»Hat er auch. Und warum redet er so komisch? Meint er nicht eher, eine zerquetschte Tomate?«
»Ich glaube nicht, dass die Leute aus seiner Zeit T o maten kannten«, sagte Bod. »Damals haben sie alle so geredet.«
Scarlett war
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