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Das größere Wunder: Roman

Das größere Wunder: Roman

Titel: Das größere Wunder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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in diesem Moment verströmte, vergaß Jonas nie, es war ein strenger Geruch, ein Geruch, den Jonas nicht gekannt hatte, es war der Tod. So wie er seine Gedanken dabei nie vergaß: Das letzte Mal, Abschied, Ende. Und wie er seinen Kummer nie vergaß, seine Wut, die Leere, die er wiedererkannte, die er vergessen hatte, die dagewesen war, ehe Picco ihn aufgenommen hatte.
    Danke, dachte Jonas, ich danke dir, wer immer du bist und gewesen bist.

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    »Willst du dir das wirklich antun?« fragte Sam. »Willst du in deinem Zustand wirklich da hoch?«
    »Das fragt ausgerechnet einer, den man kaum noch verstehen kann«, sagte Manuel anstelle von Jonas, wobei er Sams heiseres Flüstern nachahmte.
    »Keine Stimme ist kein Problem. Eine gebrochene Rippe ist ein Problem.«
    »Ach was, mir geht es besser als vorher«, versicherte Jonas. »Immerhin bekomme ich jetzt richtige Schmerzmittel und werde von unserem ärztlichen Team mit Fürsorge geradezu überhäuft.«
    »Steht schon fest, wann es losgeht?« fragte Nina, die mit Manuel am Vormittag die fünfhundertste Partie Backgammon gespielt und dafür von den Sherpas eine Medaille aus Karton bekommen hatte, auf der sie von einem zeichnerisch begabten Küchenjungen verewigt worden war.
    »Morgen sicher nicht«, sagte Marc, der soeben ins Zelt gestürzt war.
    »Neue Probleme?« fragte Ang Babu.
    »Das kann man sagen. Bruce und Sven haben sich irgendetwas eingefangen, und das Team steht plötzlich so gut wie ohne Bergführer da. So können wir nicht aufbrechen, da hat Hadan völlig recht.«
    »Aber wir werden alle langsam verrückt hier!« rief Nina. »Müssen jetzt zwanzig Leute darauf warten, bis diese zwei ihre Magenverstimmung auskuriert haben oder ihre Erkältung oder was es eben ist?«
    »Glaub mir«, sagte Marc und legte ihr die Hand auf die Schulter, »du willst da oben nicht ohne deine Bergführer sein, nicht ohne deine gesunden, kräftigen, ausgeruhten Bergführer, die dich im Fall des Falles an der Hand nehmen und dir Mut zusprechen und dich von da oben runterbringen. Ärgere dich nicht, länger als zwei Tage kann es nicht dauern. Wer weiß, vielleicht ersparen wir uns auf diese Weise einigen Stau an den Fixseilen.«
    Hadan trat ins Zelt, gefolgt von Tiago, der mit rotem Kopf so laut auf ihn einschrie, dass Alex dazwischensprang. Marc gab Jonas ein Zeichen, ihm nachzukommen, und schaffte es an den Streitenden vorbei nach draußen, ohne aufgehalten zu werden.
    Zunächst führte er Jonas zu seinem eigenen Zelt, wo er sein Notebook holte. Nach einem Blick auf die Uhr schlug er einen Abstecher in die Buddha Bar vor.
    »Und was ist mit der Teambesprechung?«
    »Die kriegst du jetzt von mir.«
    In der Bar bestellte Marc zwei Kannen Tee und fragte den Barkeeper, ob er auch Energieriegel hatte.
    »Klar, sind aber nicht ganz billig.«
    »Egal, für jeden drei.«
    Marc klappte das Notebook auf und tippte mit seinem Kugelschreiber auf einen Abriss des Everest-Massivs, der auf dem Bildschirm erschien.
    »Ich nehme an, du kannst Karten lesen?«
    »So leidlich.«
    »Ich erkläre dir nun mal im Detail, was dir bevorsteht. Du kennst den Berg bis Lager 3, bis knapp zur Hälfte der Lhotse-Wand, und über den Rest erzähle ich dir lieber jetzt schon einige grundlegende Dinge. Ich werde immer bei dir sein, ich werde dich führen, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Aber da oben kann alles passieren, und wenn mir irgendein kenianischer Vollprofi seine Steigeisen in die Halsschlagader rammt, stehst du allein da und fragst dich, wie du heimkommst. Das wollen wir nicht, und deshalb hörst du gut zu und merkst dir alles.«
    »Aye, aye, Sir. Lager 3. Wie geht’s jetzt weiter?«
    »Schön langsam.« Marc tippte mit einem der Schokoriegel, die mit dem Tee gebracht worden waren, gegen den Bildschirm. »Du brauchst dir nicht den Hals zu verrenken, du siehst von hier aus nichts von dem, was ich dir zeigen will.
    Wir übernachten in Lager 3. Wenn es dir dort schlechtgeht, wirst du zum ersten Mal künstlichen Sauerstoff atmen. Mach dich auf eine nicht allzu angenehme Erfahrung gefasst. Die Maske ist eng und beklemmend, manche reißen sie sich da oben vom Gesicht, weil sie glauben, sie hindere sie am Atmen, nur um recht schnell festzustellen, dass sie ohne sie gar keine Luft mehr kriegen. Diesen Fehler begehst du bitte nicht. Wenn du das Gefühl hast, keine Luft mehr zu bekommen, sagst du es mir, es kann immer sein, dass das Ventil vereist oder die Flasche ganz einfach leer ist.«
    »Das merke ich

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