Das größere Wunder: Roman
sind mir ja fünf besoffene Hristos lieber als diese Vögel.«
»Was ist mit den Bulgaren?« fragte Sam über den Tisch. »Wer ist dieser Hristo?«
»Ein Drecksack«, lachte Sven. »Bin ihm vor zwei Jahren am Manaslu begegnet, da hat er einer Frau aus seinem Team in den Bauch getreten und ihr ins Gesicht gespuckt, weil sie aufgeben wollte. Ging um irgendeinen Rekord, und er sah seine Felle davonschwimmen, es hätte wohl eine Prämie des Sponsors gegeben, keine Ahnung, irgendeine Russenscheiße eben. Wir wollten ihm den Arsch verprügeln, aber dann wäre sein Team ohne Anführer dagestanden. Außerdem ist eine Schlägerei über 7000 Metern so eine Sache. Du kannst ihn dann ja nicht dort liegen lassen. Wollten uns das für später aufsparen, doch der Knilch ist uns nicht mehr unter die Augen gekommen.«
»Ich kenne ihn auch«, sagte Ang Babu. »Er hat einen sehr schlechten Ruf. Niemand will mit ihm klettern. Nur die, die das Geld am dringendsten brauchen, lassen sich von ihm engagieren.«
»Und riskieren, überhaupt nichts bezahlt zu bekommen«, sagte Bruce. »Ich kenne ihn auch und weiß von mindestens zwei Fällen, wo seine Leute am Ende leer ausgegangen sind.«
»Solchen Menschen gehört natürlich das Handwerk gelegt«, sagte Alex, der dritte Bergführer, »aber ich vertraue da auf die Selbstreinigungskräfte der Szene. Früher oder später ist so jemand raus. Entweder weil ihn niemand mehr will, oder weil ihn irgendein Berg nicht mehr will und ihm mit einer Lawine aufs Dach steigt.«
»Die Truppe müssen wir im Auge behalten«, sagte Hadan. »Wo die auftauchen, bricht irgendwann immer Chaos aus. Ein paar von denen sind Spitzenbergsteiger, und ein paar können sich ohne fremde Hilfe nicht mal die Steigeisen anschnallen. Hoch oben am Berg kann es mit denen kritisch werden. Ich wette, die zahlen den Eis-Ärzten keinen Cent. Würde mich sehr wundern, wenn Hristo da die Brieftasche auspackt.«
»Bitte wem?« fragte Nina, während Manuel, der Lichttechniker, mit dem sie zusammen reiste, resigniert die Dominosteine auf dem Brett zwischen ihnen zusammenschob. »Den Eis-Ärzten? Ist das Eis krank?«
Hadan lachte. »Zu Beginn jeder Saison organisiert ein Team von Sherpas die Leitern, mit denen es den Eisbruch absichert, und kassiert dafür von jedem Team, das durch den Khumbu will, ein Wegegeld. Klappt seit Jahren sehr gut, alle halten sich dran. Nur manchmal gibt es Reibereien … aber hallo! Wer kommt denn da?«
Am Zelteingang stand ein Mann, dessen Gesicht hinter einer riesigen Sonnenbrille kaum zu erkennen war. Hadan sprang auf und umarmte ihn.
»Leute, das ist der König des Himalaya«, rief er. »Marc Boyron, falls ihr ihn mit der verbrannten Visage und der Angeberbrille nicht erkennt!«
Marc Boyron schob sich die Brille in die verfilzten Haare, grüßte und machte eine Geste, als wollte er Hadans Worte beiseiteschieben. Nachdem er einigen Sherpas, die in ehrerbietiger Haltung an ihn herangetreten waren, die Hände geschüttelt hatte, fiel sein Blick auf Jonas, und er drängte sich durch die Umstehenden zu ihm.
»Halluziniere ich? Was machst du denn hier?«
»Das frage ich mich auch irgendwie«, sagte Jonas.
»Ich glaube, ich falle in Ohnmacht! Wieso weiß ich nicht, dass du hier bist?«
»Du hattest da oben kein Telefon.«
»Unglaublich! Unfassbar! Wie lange ist das her, zwei Jahre? Drei?«
»Wohl eher vier.«
Marc warf den Kopf zurück, imitierte einen Hund, der den Mond anheult, zog Jonas an seine Brust, hob ihn hoch und machte Anstalten, ihm die Rippen zu zerquetschen.
»Marc! Willst du mich umbringen?«
»Ach was, dich bringt man nicht so leicht um«, sagte er, setzte Jonas aber trotzdem wieder ab.
»Lass uns erst nachher reden«, sagte dieser leise.
»Wisst ihr überhaupt, wen ihr da in eurem Team habt?« fragte Marc in die Runde.
»Was hast du da oben getrieben?« fragte Jonas schnell. »Habe mir Sorgen um dich gemacht in den letzten Tagen.«
»Ach was, für mich finde ich immer noch ein Schlupfloch. Um meine Kunden hat man sich Sorgen machen dürfen. Na ja, stimmt schon, somit auch für mich, denn ich kann die Kerle ja schlecht da oben sitzen lassen.«
»Ihr kennt euch?« fragte Hadan irritiert. »Woher denn?«
»Jonas und ich haben eine gemeinsame Freundin. Und wir waren gemeinsam in der Antarktis.«
»In der Antarktis? Was habt ihr zwei denn da gemacht?«
»Zum Beispiel einen Freund begraben, aber das ist wirklich kein Thema fürs Frühstück.«
»Was? Welchen Freund? Wieso weiß
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