Das große Buch der Lebenskunst
Weisheit. Aber wer in seinem Handeln den andern übertreffen will, wer sich damit selbst beweisen muss, der handelt
nicht gut.
Der daoistische (dao heißt: der rechte Weg) Weise Lao-Tse aus dem alten China spricht über das richtige und sinnvolle Leben, wenn er meint, wir sollen
handeln, aber nicht wie in einem Wettbewerb. Wir sollen nicht auf die andern schauen und uns mit ihnen vergleichen.
Sobald ich mich in meiner Arbeit mit anderen vergleiche, setze ich mich unter Druck. Ich bin mit den Gedanken nicht bei der Arbeit. Die Arbeit fließt
nicht mehr aus mir heraus. Ich sehe nur auf die andern, ob sie schneller sind als ich. Ich werde von meiner Arbeit getrieben und merke gar nicht, wie ich
mich nicht mehr auf die Arbeit einlassen kann. Ich bin nicht mehr im Handeln. Vielmehr werde ich getrieben, immer mehr zu tun als die andern. Ich mache
meinen Wert abhängig vom Ergebnis meiner Arbeit und vom Vergleich mit anderen. Das zerstört das wahre Handeln.
Richtig handelt, wer ganz in seiner Hand ist, wer mit seiner Hand den Menschen berührt und sich ganz auf das Ding einlässt, das er formt.
Komm in deine Mitte
S ei nicht träge und langsam in deinem Tun, nicht eilfertig im Gehen, sonst bist du schlimmer als
Geisteskranke, die Unfug machen. Ich sah bisweilen, um Hiobs Worte zu gebrauchen, solche Seelen, die an der Langsamkeit oder Übereiltheit ihres Handelns
zugrunde gingen, und erstaunte, wie verschieden das Böse auftritt.« (Johannes Climacus)
Die Weisheit des Lao-Tse über den rechten Weg deckt sich mit der Einsicht der frühen Mönche, die Johannes Climacus in seiner »Himmelsleiter«
formuliert. Heute haben wir die Langsamkeit aufs Neue als großen Wert entdeckt. Statt immer mehr zu beschleunigen, sollen wir entschleunigen, bewusst
langsamer gehen und langsamer arbeiten. Doch Johannes Climacus meint, sowohl die übertriebene Langsamkeit wie Hetze täten dem Menschen nicht gut, ja sie
seien Zeichen von seelischer Krankheit.
Es gibt eine Langsamkeit, die eher der Antriebshemmung entspringt als dem bewussten Tun. Es gibt Menschen, die in sich langsam sind, weil sie alle
Energie für den eigenen Seelenhaushalt verbrauchen, so dass sie nichts mehr für die Arbeit übrig haben. Oder sie haben Angst, einen Fehler zu machen. So
machen sie lieber gar nichts. Doch diese Trägheit ist keine Tugend, sondern eine Krankheit. Genauso krank ist aber auch die Übereiltheit, die Hetze und
Hast. Das deutsche Wort »Hast« meint eine Eile, die durch innere Erregung ausgelöst wird. Johannes Climacus sieht das Böse als den Verursacher dieser
inneren Erregung. Die Dämonen, so meint er, können sich sowohl in der Langsamkeit als auch in der Übereiltheit ausdrücken. Es geht immer um das rechte Maß
des Menschen. Nur wer seinem Maß entsprechend handelt, kommt in seine Mitte, den führt sein Handeln zu seinem wahren Wesen.
Ernten und Säen
B eurteile einen Tag nicht danach, welche Ernte du am Abend eingefahren hast. Sondern danach, welche Samen
du gesät hast.« (Robert Louis Stevenson)
Nicht jeder Tag ist ein Tag der Ernte. Der Bauer erntet im Sommer und im Herbst und nicht schon im Frühling. Wenn ich am Abend auf meinen Tag schaue,
dann ist es mir nicht wichtig, wie viel Erfolge ich vorzuweisen habe. Es ist mir wichtig, dass ich bewusst gelebt habe. Wenn ein Gespräch gelungen ist,
wenn ich einen gebeugten Menschen aufgerichtet habe, wenn ich ganz bei dem war, was ich getan habe, dann bin ich dankbar. Aber ich weiß, dass das Gespräch
kein endgültiges Resultat ergeben hat, dass der Aufgerichtete sich wieder beugen wird, sobald die nächste Krise kommt. Es ist keine Ernte, die ich in die
Scheune einbringen kann. Es ist Samen, den ich gesät habe. Ich bin schon dankbar, wenn ich meine urpersönliche Spur in dieser Welt hinterlassen habe. Und
das geschieht immer dann, wenn ich ganz in dem bin, was ich sage und tue, wenn ich präsent bin in der Begegnung, wenn ich das Leben wahrnehme, wie es
ist. Alles, was bewusst geschieht, hinterlässt Spuren. Und in diesen Spuren wird ein Same ausgesät, der irgendwann einmal aufgehen wird in den Herzen der
Menschen, denen ich begegnet bin, zu denen ich gesprochen, für die ich gearbeitet und mich eingesetzt habe. Und ich vertraue darauf, dass die Worte, die
ich heute geschrieben habe, wenn sie aus meinem Herzen kamen, auch die Herzen anderer berühren und in ihnen zu einem Samenkorn werden, das irgendwann
einmal im Herzen des Lesers und
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