Das große Buch der Lebenskunst
anspanne, nicht
nur die körperlichen Muskeln, sondern die Kräfte meiner Seele. Sonst könnte die Krise auch ins Verderben führen, zum tödlichen Ausgang. Ich kann die Krise
zwar nicht aus eigener Kraft lösen. Aber ich muss auch selbst etwas tun, damit aus der Krise Kraft erwächst. Ich muss durch die Krise hindurchgehen. Ich
muss standhalten, anstatt zu flüchten. Und manchmal muss ich auch kämpfen, damit ich in der Krise nicht untergehe.
Alles ist Geschenk
W ir können uns nicht einrichten auf dem Erreichten, weder auf dem Erfolg noch auf dem Besitz, noch auf
unserer Familie, noch auf unserer Gesundheit.
Alles ist uns geschenkt.
Alles kann uns genommen werden.
Jede Krise fordert uns heraus, unser Festklammern an den äußeren Bedingungen aufzugeben, alles, was wir haben, loszulassen. Wenn wir uns mit unserem
Besitz oder unserer Gesundheit identifizieren, geben wir uns selbst auf, wenn wir unseren Besitz oder unsere Gesundheit verlieren. Dann sind wir nichts
mehr. Wir müssen uns schon vor der Krise einüben in die innere Freiheit. Dann wird uns die Krise nicht vernichten, sondern uns an den Ort führen, an dem
wir wahrhaft daheim sind, an dem wir ganz wir selber sind, an dem uns niemand verletzen kann, an dem uns nichts mehr schaden kann.
Johannes Chrysostomus sagt einmal in einer Predigt: Nichts kann dich verletzen außer du selbst. Wenn du in Gott deinen Grund hast, dann kann kommen,
was will. Es wird deinem wahren Selbst nicht schaden. Chrysostomus bringt als Begründung das Gleichnis vom Haus, das auf dem Felsen gebaut wurde. Da
können die Stürme an ihm rütteln oder die Wassermassen es überschwemmen – sie können das Haus nicht zu Fall bringen.
Weg zur Tiefe
V iele Menschen leiden heute unter Depression. Und viele sehen schon in depressiven Gefühlen eine
Krankheit, die sie bekämpfen und möglichst schnell loswerden wollen. Doch damit verbauen sie sich den Weg zu ihrer Tiefe. Wir können es uns nicht
aussuchen, ob wir depressiv veranlagt sind oder nicht. Aber wenn ich depressiv bin, dann geht selbst mein Weg zu Gott nicht an meiner Depression vorbei,
sondern durch sie hindurch. Die Depression nimmt mir die Illusion meines Ego, dass ich immer guter Laune bin, dass ich alles positiv sehen kann, dass ich
mein Leben im Griff habe. Es gibt eine wunde Stelle, eine Achillesferse in mir. Ich muss sie nicht bedecken und abschirmen. Sie ist gerade das Einfallstor
Gottes. Gerade dort kann ich ihn erfahren. Und wenn ich ihn erfahre, wenn ich mit meinen Wunden mit ihm eins werde, dann ist diese Einheitserfahrung
zugleich Erfahrung von Heil. Denn Einssein ist ja Ganzsein, Heilsein. Die eigentliche Heilung des Menschen besteht daher für mich in dieser tieferen
Erfahrung. Diese Erfahrung können wir nicht erzwingen. Wir können uns aber dafür bereiten. Aber Gott zeigt sich immer wieder überraschend. Wir sollen nur
damit rechnen und dürfen darauf vertrauen, dass er sich gerade uns zeigt, auch wenn wir noch so sehr an uns und unserer Situation leiden. Wenn wir Gott
erfahren, sind wir eins. Aber im nächsten Augenblick werden wir wieder seine Ferne erleben. Dann fühlen wir uns wieder zerrissen. In dieser Spannung
müssen wir leben: zwischen Gottesnähe und Gottesferne, zwischen Heilsein und Kranksein, zwischen Licht und Dunkel, zwischen Kraft und Ohnmacht, zwischen
Liebe und Leere.
Aus Dunkel ins Licht
S piritualität führt immer in die Weite und Freiheit. Angst und Enge, autoritäres Pochen auf
Glaubenswahrheiten und unklare Machtausübung sind immer Zeichen mangelnder Spiritualität. Spiritualität ist Erfahrung. Sie will die Menschen zur Erfahrung
einer inneren Freiheit führen: Wir sind in dieser Welt, aber nicht von ihr. Niemand hat Macht über uns, weil wir einen göttlichen Kern haben. Der Mensch
wird erst Mensch, wenn göttliches Leben in ihm strömt. Die zentrale Botschaft des Christentums heißt: Es gibt keinen Tod, in dem nicht schon der Anfang
neuen Lebens ist. Es gibt kein Kreuz, dem nicht die Auferstehung folgt. Es gibt keine Dunkelheit, in der nicht schon das Osterlicht aufleuchtet, kein
Leid, in dem wir allein gelassen sind.
Die Botschaft von Tod und Auferstehung ist aber auch Appell, den Aufstand zu wagen gegen alle Hindernisse, die heute in unserer Welt das Leben
blockieren, gegen ungerechte Strukturen, gegen die vielen Kreuze, die heute täglich aufgerichtet werden. Tod und Auferstehung Jesu befreien uns von
Bitterkeit und
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