Das große Buch der Lebenskunst
akzeptiert, der gerät in die Neurose. Und die Neurose ist erst dann geheilt, wenn sie den
Menschen gezwungen hat, seine falsche Einstellung zum Leben aufzugeben. »Nicht sie (die Neurose) wird geheilt, sondern sie heilt uns.« Wir müssen uns mit
unserer Krankheit aussöhnen, dann liegt darin »das wahre Gold, das wir sonst nirgends gefunden haben«. Jung sieht gerade im Kreuz Jesu Christi einen guten
Weg, uns mit unserem Leiden auszusöhnen. Professor Uhsadel, ein evangelischer Theologe, berichtet von einem Gespräch mit C. G. Jung. Jung weist auf das
Kreuz in seinem Zimmer und sagt: »Sehen Sie, dies ist doch das Entscheidende … Der Mensch muss mit dem Problem des Leidens fertig werden. Der östliche
Mensch will sich des Leidens entledigen, indem er das Leiden abstreift. Der abendländische Mensch versucht, das Leiden durch Drogen zu unterdrücken. Aber
das Leiden muss überwunden werden, und überwunden wird es nur, indem man es trägt. Das lernen wir allein von ihm.« Damit wies er auf den Gekreuzigten. Das
Kreuz annehmen, das ist nach den Worten Jesu wahres Leben. Das heißt auch: Sich damit aussöhnen, was mich – gerade im Alter – durchkreuzt, führt immer
mehr in das Geheimnis Gottes hinein.
Einübung ins Sterben und Annahme des Leidens – die wichtigsten Aufgaben des Alters – verlangen, dass der Mensch sichaussöhnt mit
seiner Krankheit, mit seinem Leiden, mit seinem Tod und dass er seine Vergangenheit loslässt, dass er seinen Beruf, seine Beziehungen, seine Kraft, seine
Gesundheit loslässt und sich ganz und gar Gott überlässt. Annehmen und Loslassen, diese beiden Grundvollzüge jeder Menschwerdung, sind gerade im Alter auf
neue und entscheidende Weise gefragt.
Lass Verwandlung geschehen
W ir suchen uns oft spirituelle Wege aus, auf denen wir die innere Verwandlung erfahren möchten. Doch oft
genug bleiben wir bei unserer Suche in unserem Ego stecken. Es ist unser Weg, unsere Vorstellung von Spiritualität, der wir folgen.
Das Leben verwandelt uns, wenn wir uns ihm stellen. Schau in dein Leben hinein und frage dich: Was hat dich am meisten verwandelt? Waren es selbst
gesuchte Wege? Oder waren es Ereignisse, die dir in die Quere kamen, die dich auf den glühenden Rost legten, bei denen du das Gefühl hattest, nicht mehr
weiterleben zu können?
Du musst gar nicht auf die Suche gehen nach dem, was dich wandelt. Lass die Verwandlung geschehen, zu der dich das Leben drängt.
In den Wunden das Leben
D ort, wo mich Menschen verletzen und verwunden, dort ist auch der Weg zum wahren Leben, dort erahne ich
auch, dass es in mir ein anderes Leben gibt, als vor den Menschen gut dazustehen, dass gerade in meiner Schwäche die Kraft Gottes zur Vollendung
kommt. Jeder Mensch hat seine Wunden.
Was sind deine Wunden? Du erkennst sie, wenn du deine empfindlichen Stellen anschaust.
Wo reagierst du unangemessen auf Kritik?
Schaue deine Wunden an und söhne dich mit ihnen aus. Die Wunde öffnet dich für dein wahres Selbst. Die Wunde hält dich lebendig. Sie zwingt dich,
weiter an dir zu arbeiten und zu wachsen. Die Wunde verweist dich auf Gott, den wahren Arzt für deine Seele.
Betrachte deine Wunden und entdecke in ihnen das Leben, das in dir strömt.
Öffne dein Leiden
E nttäuschungen begleiten unser Leben. Es muss nicht der Schmerz der Mutter oder des Vaters um die Irrwege
des Sohnes oder der Tochter sein, die dich quälen. Vielleicht ist es der Schmerz über eine misslungene oder abgebrochene Beziehung, über das eigene
Versagen, über die Verletzung durch andere, über die Verlassenheit und Einsamkeit. Ganz gleich, welche Ursache dein Schmerz hat, suche Beistand in deinem
Schmerz. Sprich mit Menschen, die dich verstehen. Vergrabe dich nicht in deinem Leiden, sondern öffne es auf einen Menschen oder auf Gott hin. Dann wirst
du in deinem Schmerz Trost erfahren, Festigkeit, Hoffnung, Zuversicht.
Bleib in Bewegung
U nser Leben ist Unterwegssein. Sei achtsam auf dem Weg deines Lebens. Wenn du eine Wanderung unternimmst
oder einen Spaziergang, dann achte einmal auf jeden deiner Schritte. Dann wirst du spüren, dass Wandern ein wesentliches Bild unseres Lebens ist. Wir
gehen uns frei von allem, was uns bindet und festhält. Wir gehen immer weiter. Wir bleiben nicht stehen. Wir sind bereit, uns mit jedem Schritt zu
wandeln. Wandern kann wandeln, wenn wir uns bewusst werden: Wir gehen auf ein Ziel zu. »Wohin denn gehen wir? – Immer nach Hause!«, heißt es
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