Das große Buch der Lebenskunst
bei
Novalis. Spüre beim Gehen nach, ob du auch innerlich in Bewegung bleibst, ob du auch einen inneren Weg gehst, ob dein Weg wirklich ein Weg zu Gott
ist.
Fruchtbare Spannung
W er kennt nicht die Zerrissenheit in seiner eigenen Seele? Was zerreißt dich? Was sind die verschiedenen
Pole in dir? Wie bringst du die Gegensätze zusammen: Liebe und Härte, Sehnsucht nach Stille und Drang nach außen, Introversion und Extraversion, Achten
auf die eigenen Gefühle und Missachtung des Leibes, Trauer und Freude, Vertrauen und Angst, Einsamkeit und Gemeinschaft?
Die Spannung zwischen den verschiedenen Polen kann einen Menschen zerreißen. Sie kann aber auch strömendes Leben erzeugen. Ohne Spannung gibt es kein
Leben.
Lass die Spannung deines Herzens fruchtbar werden. Aber sei auch sensibel dafür, wo du die Spannung nicht mehr aushalten kannst, wo sie zu groß für
dich wird. Suche die Spannung, die das Leben und die Liebe in dir strömen lässt, damit von dir Leben ausgeht für die Menschen deiner Umgebung.
Keine Gewalt
F rüher meinte ich, ich müsste mich verändern, ich müsste alles anders machen. Im Verändern ist etwas
Gewaltsames. Ich will mich ändern, weil ich so, wie ich bin, nicht gut bin. Verwandeln ist sanfter. Alles darf sein, aber alles will verwandelt
werden. Verwandeln heißt, dass das Eigentliche durchbricht durch das Uneigentliche, dass das Bild aufleuchtet, das Gott sich von mir gemacht hat. Gerade
im Alter spüren wir, dass wir nicht mehr viel verändern können, dass wir manches Ideal nicht erreichen werden. Da wäre die Verwandlung der geistliche Weg
schlechthin. Ich halte alles Gott hin, auch das Arme und Verkrüppelte in mir, das Beschädigte und Verwundete, das, was am Wegrand liegen geblieben ist
(vgl. Lk 14,23), damit Gott es verwandeln kann. Tag für Tag halte ich Gott mein armes Leben hin, im Vertrauen, dass er es mehr und mehr verwandelt in
seine Herrlichkeit. Verwandelt werden aber kann nur, was wir Gott hinhalten.
Geh gut mit dir um
E rkenne das Mütterliche in dir. Nimm das verletzte Kind in dir in deine mütterlichen Arme. Geh mütterlich
mit dir selbst um. Dann brauchst du nicht dein Leben lang darauf zu warten, dass deine Mutter die Liebe gibt, nach der du dich sehnst, dass deine Mutter
dir die Worte der Anerkennung und des Lobes sagt, die du so sehr brauchst. Sei dir selbst Mutter. Nimm dich selbst liebend in die Arme. Und schenke dir
die Geborgenheit, die das verletzte und verwaiste Kind in dir braucht. In dir ist genügend Mütterlichkeit, weil du teilhast an Gottes mütterlicher Liebe
und Kraft.
Selbstvergessen
G eorge Bernanos sagte einmal: »Es ist eine große Gnade, sich selbst annehmen zu können. Aber die Gnade
aller Gnaden ist, sich selbst vergessen zu können.«
Sich selbst vergessen, einfach in Gottes Gegenwart dasitzen, zu kontemplieren, – wem das gelingt, der hat bereits eine Ahnung der Ewigkeit, wo wir in
Gott für immer leben werden. Es ist auch eine Erfahrung großer Freiheit.
Selbstvergessen zu sein, abzusehen vom eigenen Ego, ist aber auch eine Chance, Freiheit im ganz konkreten Alltag zu erfahren.
Freiheit ist nicht eine Leistung, die ich erbringen kann. Sie ist viel mehr dies: Ausdruck dafür, dass ich so lebe, wie es mir gemäß ist und wie es
meiner Begrenzung und zugleich meinen Kräften entspricht.
Die wahre Freiheit aber besteht darin, selbstlos lieben zu können.
Geh bis an deiner
Sehnsucht Rand
Sehnsucht ist der
Anfang von allem
Versteckt hinter der Sucht
U nsere Zeit ist eine Zeit der Desillusion. Skepsis und Zynismus machen sich breit. Die Visionen sind
verflogen. Wir misstrauen großen Worten. Für manche ist Sehnsucht nichts als Fata Morgana. In der postmodernen Zeit leben wir ohne Illusionen. Der Mensch
kann aber auch in Zeiten der Desillusionierung die Sehnsucht nicht ganz lassen. Wir brauchen uns nur umzuhören, dann erkennen wir seine heimlichen
Sehnsüchte in den vielen Schlagern, die seine Sehnsucht nach Liebe besingen. Wir entdecken die heimliche Sehnsucht in den Begierden und Bedürfnissen, die
die Konsumgesellschaft wachruft und zu stillen versucht. Sehnsüchte werden kommerzialisiert. Sie verstecken sich hinter vielen Ersatzbefriedigungen. Oder
wir brauchen nur die Inhalte von populären Illustrierten zu betrachten, das Verlangen, am Glanz der Filmstars und Sportstars teilzuhaben, oder die
Neugier, alles über Königshäuser zu erfahren. Man möchte selber König oder Prinzessin
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