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Das große Buch der Lebenskunst

Titel: Das große Buch der Lebenskunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselm Grün
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sein.
    Sehnsucht versteckt sich heute vor allem hinter der Sucht. Und die ist immer verdrängte Sehnsucht. In der Sucht suche ich eigentlich das, was ich in
     der Tiefe meines Herzens ersehne. Aber ich gebe meine Sehnsucht nicht zu. Ich möchte in der Sucht meine Sehnsucht überspringen und mir direkt nehmen, was
     ich ersehne. Das mittelhochdeutsche Wort Sucht kommt von siech, von krank sein. Erst in unserer Zeit hat man die Sucht mit der Suche
     zusammengesehen. Sucht macht abhängig und krank. Ich suche nicht weiter. Ich begebe mich in eine Abhängigkeit, die mir scheinbar schenkt, wonach ich mich
     sehne. Aber ich bekomme nie, was ich ersehne.
    In der Sucht sehnen wir uns letztlich nach dem Paradies des Mutterschoßes. Wir scheuen uns, das Paradies zu verlassen. Wirbleiben im
     Mutterschoß zurück. Wir weigern uns, die Verantwortung für unser Leben zu übernehmen. Wir wollen nicht erwachsen werden. Wir haben uns so daran gewöhnt,
     verwöhnt zu werden, dass wir nicht bereit sind, uns dem Leben mit seinen Herausforderungen zu stellen. Wir bleiben im Konsumieren stecken, anstatt uns
     aufzumachen, um das Leben in die Hand zu nehmen.
Nimm dein Leben in die Hand
    G erade weil mich meine Sehnsucht lehrt, die Realität anzunehmen, wie sie ist, verlangt sie nach
     Disziplin. Denn zur Realität meines Lebens gehört es, dass ich mein Leben lang ein Lernender, ein discipulus, ein Schüler, bin. Die Sucht
     verlängert das Verwöhntwerden, das Bleiben im Mutterschoß. Die Disziplin führt mich in das Leben ein. Sie lehrt mich, mein Leben selbst in die Hand zu
     nehmen, mir klare Ordnungen zu geben. Disziplin meint im Lateinischen die Lehre, den Unterricht, aber auch die Zucht, die Ordnung und die Methode, mit der
     ich an etwas herangehe. Manche meinen, es komme von discere = lernen. Aber vermutlich ist die Wurzeln capere = nehmen. Es kommt dann von dis-cipere = zergliedern, um zu erfassen. Ich nehme etwas in die Hand. Ich gliedere es, ich teile es auf, um es zu verstehen, um zu sehen, was
     darinnen ist. Disziplin ist nicht etwas Passives, dem ich mich unterwerfe, sondern etwas Aktives. Ich nehme mein Leben in die Hand. Ich schaue es mir an
     und überlege, wie ich es so gliedern kann, dass ich wirklich lebe, dass ich selber lebe, anstatt gelebt zu werden.
Leere inmitten der Fülle
    M enschen, die alles erreicht haben, wonach sie sich sehnen, werden oft von einem Gefühl innerer Leere
     heimgesucht. »Der eine mag zum Fußballer des Jahres ernannt werden, der andere summa cum laude promovieren, das Herz des perfekten Partners gewinnen oder
     so viel Geld verdienen, dass er oder sie den schon immer erstrebten Lebensstil finanzieren kann.« (Christina Grof) Doch inmitten all der Fülle bleibt die
     innere Leere, und die Sehnsucht nach etwas ganz anderem wird sogar noch größer.
    Nichts Irdisches, kein Erfolg, kein geliebter Mensch kann unsere innere Unruhe beruhigen. Wir werden erst zur Ruhe kommen, wenn wir die innere Quelle
     finden, die nie versiegt, die Geborgenheit und Heimat, aus der wir nie vertrieben werden, und eine Liebe, die sich nie auflöst und uns nicht zwischen den
     Fingern zerrinnt.
Erkaufte Träume
    N ur was angenommen wird, kann erlöst werden, sagen die Kirchenväter. Wir dürfen also unsere Sucht nicht
     verurteilen, sonst verfolgt sie uns immer. Wir können gegen sie nicht direkt ankämpfen, sonst entwickelt sie eine zu starke Gegenkraft. Wir sollten die
     Sucht nach der Sehnsucht befragen.
    Wonach sehne ich mich, wenn ich zu viel Alkohol trinke? Ich möchte der Banalität des Alltags entfliehen, ich möchte ein anderes Gefühl haben, ich
     möchte mich über die Niederungen des Alltags erheben, um in einer gehobenen Stimmung die Welt schöner und gefälliger erleben zu können. André Gide sieht
     den Grund unseres Trinkens darin, dass wir uns den Traum von einer Sache erwerben möchten, weil wir die Sache selber nicht bekommen können. Wir erkaufen
     uns im Trinken den Traum vom Glück, weil wir dem Glück vergebens nachlaufen. Doch Gide macht die traurige Erfahrung: »Das Furchtbare ist, dass man sich
     nie genügend betrinken kann.« Das Trinken wird meine Sehnsucht nie wirklich stillen. Im Trinken werde ich immer nur von dem Glück träumen, nach dem ich
     mich sehne. Aber ich werde dabei immer unglücklicher. Ich verzichte darauf, konkrete Wege zu gehen, die mich dem Glück näher bringen könnten.
    Wonach sehne ich mich, wenn ich nicht von der Arbeit loskomme? Ich decke das seelisch Loch zu,

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