Das große Buch der Lebenskunst
anderen bedarf. Er ist jemand, der einfach bei ihm aushält, ohne fromme Worte,
ohne mit irgendwelchen Sinnsprüchen seine Krankheit zu deuten. Er ist einfach da bei dem Trauernden, der untröstlich ist und keine vertröstenden Worte
erträgt. Wer verzweifelt ist möchte nur einen haben, der einfach da ist, ohne etwas zu sagen, ohne Erklärung, ohne Erwartungsdruck, dass die Trauer sich
legen muss.
Wer einfach da ist, ohne zweckgerichtete Interessen, der ist auch ein Segen für die Schöpfung. Er ist im Einklang mit der Schöpfung. Er benützt sie
nicht für sich, er beutet sie nicht aus. Er ist einfach, mit der Schöpfung und in ihr. Als Teil der Schöpfung blüht er als dieser einmalige Mensch
auf. Er wird zum Segen für seine Umgebung.
Abraham Heschel schreibt dem einfachen Leben noch eine andere Qualität zu, die uns zunächst fremd anmutet: Heiligkeit. »Einfach nur leben ist heilig.«
Wenn wir auf das Wort und seine Bedeutung näher hinhören, verstehen wir eher, was gemeint ist. Das deutsche Wort »heilig« kommt von »heil«, das »gesund,
unversehrt, ganz, vollständig« bedeutet. Wer einfach lebt, der ist nicht zerrissen. Er ist heil und ganz. Er lebt mit allem, was er ist. Er lebt
vollständig. Das lateinische Wort für »heilig« ist »sanctus«.Es kommt von »sancire« – abgrenzen, der Welt entziehen. Das Heilige ist
das, was der Welt entzogen ist, worüber die Welt keine Macht hat. Wer einfach lebt, der ist ganz bei sich. Er ist nicht von der Welt bestimmt. Er gehört
sich selbst und er gehört Gott. Die Welt hat keine Macht über ihn. Das griechische Wort »hagios« meint etwas Ähnliches. »Hagios« führt im Deutschen zu
»Gehege« und zu »behaglich«. Im heiligen Raum des Geheges fühle ich mich behaglich und geschützt. »Einfach nur leben ist heilig«, dieser Satz bedeutet für
mich: Ich lebe ganz im Augenblick, ich lebe ganz in Gott. Das macht mich heilig. Das befreit mich von der Macht der Welt, von der Macht der Leidenschaften
und Triebe, von der Macht der maßlosen Sucht nach Anerkennung und Erfolg. Dieses einfache Leben geschieht ihm Gehege, im Schutz Gottes. Dort ist es
»behaglich«. Dort fühle ich mich daheim.
Heinrich Spaemann macht darauf aufmerksam, dass in der Bibel das Wort »heilig« zum ersten Mal in Verbindung mit dem siebten Schöpfungstag
vorkommt. Gott heiligt den siebten Tag. »An ihm ruhte er von allem Werk, das er schuf.« (Gen 2,3) Die Heiligkeit des siebten Tages hat also in der Ruhe
Gottes ihren tiefsten Grund. Ruhen meint Ausruhen von den Werken. Diese Ruhe ist heilig. In ihr bin ich frei von dem Drang, etwas leisten zu müssen. Ich
kann das Dasein genießen. Ich bin einfach nur da. Das ist heilig: Wenn wir einfach nur leben, haben wir teil an der Sabbat ruhe Gottes. Da sind wir frei
von aller Sorge. Da sind wir im Einklang mit uns selbst, mit Gott und mit dem Augenblick. So will uns das Loslassen der Sorgen in die Sabbatruhe Gottes
führen, in ein Leben im Einklang mit uns selbst, in das »einfach nur leben«, das heilig ist. Nach dieser Ruhe, dieser inneren Zufriedenheit, sucht unser
Herz. Und was anderes als diese Herzensruhe meint – zutiefst – Glück?
Lass die
Sorgen
So wird das
Leben gut
Sorge dich nicht – lebe einfach
S prache ist verdichtete Erfahrung. Jedes Volk hat in seiner Sprache seiner Erfahrung Ausdruck
verliehen. Wenn wir auf die Sprache hören, hören wir auch, was in dem Wort »Sorge« mitschwingt. Das griechische Wort für »Sorge« ist »merimna«. Es
bedeutet: das besorgende Sich-Kümmern um etwas, die bange Erwartung von etwas, die Angst um etwas. Die Sorge hat also mit Zukunft zu tun und immer auch
mit der Angst vor dem, was kommen könnte. Aus Angst macht man sich Sorgen. Das deutsche Wort »Sorge« hat die Grundbedeutung von »Kummer, Gram«. Und es ist
verwandt mit der Wurzel »serg«, die auch Krankheit bedeutet. Wenn eine Mutter sagt, sie mache sich Sorgen um ihren Sohn, dann ist sie voller Kummer. Und
manchmal kann sie krank werden vor lauter Sorgen.
Wie können wir uns vor krankmachender Sorge bewahren? Es gibt einen Satz, der in unserer auf Sicherheit bedachten Gesellschaft provozierend wirken
muss: »Sorgt euch nicht um euer Leben und darum, dass ihr etwas zu essen habt, noch um euren Leib und darum, dass ihr etwas anzuziehen habt.« (Mt 6,25)
Jesus sagt diesen Satz in seiner Bergpredigt. Er verweist uns auf die Vögel des Himmels und die Lilien des Feldes, für die Gott
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