Das große Buch der Lebenskunst
dadurch,
dass wir die Wirklichkeit unseres begrenzten Lebens so erkennen und akzeptieren wie es nun einmal ist, in all seiner Banalität: Auch mit all unseren
Enttäuschungen und Belastungen, auch mit unserem Scheitern und unserem Versagen gelangen wir zu einer neuen Qualität unserer Existenz, eben zu diesem
Leben in Fülle. Dazu unterwegs zu bleiben, auf dem ganz alltäglichen Weg, darum geht es letztlich immer, jeden Tag unseres Lebens. Es ist ein gesunder und
heilsamer Weg – der Weg der wahren Lebenskunst.
Freude beseelt
W ir suchen alle nach Freude und suchen sie oft in Aktivitäten, die uns Spaß und Annehmlichkeiten
versprechen – und uns doch nicht zu uns selber bringen. Unzerstörbare und dauerhafte Freude zeigte sich gerade in äußeren Widrigkeiten. Auch in deinem
Herzen ist die Freude schon da. Du bist oft nur davon abgeschnitten. Komme in Berührung mit deiner Freude. Lass dich von ihr beseelen. Dann wird dein
Leben nicht mehr bestimmt von Anerkennung und Zuwendung, von Erfolg oder Misserfolg, sondern von der inneren Freude, die in dir ist und dir nicht genommen
werden kann, weil sie aus einer tieferen Quelle kommt.
Nichts ist wichtiger
N ichts ist so wichtig wie der heutige Tag.« (Johann Wolfgang von Goethe)
Wenn ich morgens ins Büro komme und den Stapel auf meinem Schreibtisch sehe, dann sage ich mir: Eins nach dem andern. Nichts anderes ist jetzt wichtig,
als diesen Brief zu schreiben und diese Unterschriftenmappe zu erledigen. Im Augenblick leben, achtsam sein, bewusst die Gegenwart auskosten, das sagen
uns alle spirituellen Meister. Der heutige Tag ist wichtig. Jesus fordert mich auf, die Sorge um den morgigen Tag loszulassen. Allein der heutige Tag ist
wichtig. Ihm soll ich mich zuwenden: »Sorgt euch also nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen.« (Mt 6,34) Die Sorgen für morgen
beschweren den heutigen Tag. Es genügt, mich dem Heute zuzuwenden. Heute entscheidet es sich, ob ich lebe oder nicht, ob ich da bin oder nicht, ob ich
mich auf diesen Menschen einlasse oder nicht, ob ich etwas anpacke oder nicht. Das Heute gut zu bewältigen, das ist genug Herausforderung für das
Leben.
Beim Buch der Lebenskunst ist jeder selbst der Autor.
Zweiter Teil
Man braucht nicht viel
Hinführung
W as braucht man, um wirklich glücklich zu werden? Nicht viel, sagt der jüdische Religionsphilosoph
Abraham J. Heschel. Eigentlich nichts, was nicht schon längst da wäre. »Gott, eine Seele und ein Augenblick. Diese drei sind immer da. Einfach da sein ist
ein Segen, einfach nur leben ist heilig.« Rabbi Heschel war nicht nur ein großer Gelehrter. Er war auch ein weiser Lebenslehrer, der in einer klaren und
doch fast poetischen Sprache auf den Punkt bringen konnte, was wichtig ist. Er ist überzeugt: Es sind nur diese drei Dinge, die für ein sinnvolles Leben
entscheidend sind. Mehr braucht es nicht.
Nicht mehr als drei Dinge möchte auch ich in diesem Buch beschreiben. Ich glaube, dass sie für das Gelingen des Lebens genügen: Die Sorgen lassen. In
Einklang mit sich selbst kommen. Und: Einfach leben. Diese Einstellungen oder Haltungen dem Leben gegenüber gehören zusammen, und sie bedingen einander
auch.
Um in Einklang mit mir zu kommen, muss ich die Sorgen loslassen. Denn Sorgen haben es an sich, mich zu quälen. Sie drohen mich zu zerreißen. Sie
hindern mich daran, mit mir eins zu werden. So muss ich sie loswerden, sie von mir werfen. »Einklang« und »einfach« haben dieselbe Wurzel. Es geht um das
Eine und Einfache, um den einen Klang, der einfach tönt, und um die Kunst, die vielen Töne zu einem einzigen werden zu lassen. Wer in sich die vielen Töne
zu einem einzigen Klang vereint, der ist einfach geworden, so wie die frühen KirchenväterEinfachheit verstanden haben. Er ist in ihrem
Verständnis letztlich eins geworden mit dem Urklang, eins geworden mit Gott, dem Ursprung allen Seins. Und aus diesem Einssein heraus lebt er einfach, als
einer und als einfacher Mensch. Er ist in sich klar und lauter geworden, durchsichtig auf das Eine hin.
Abraham Heschel sagt von dem »Einfach-da-sein«, dass es ein Segen ist. Was ist damit gemeint? Wohl Folgendes: Wer einfach da ist, ohne Nebenabsichten,
der ist für die Menschen, die ihm begegnen, ein Segen. Er muss, auch und gerade in schwierigen Situationen, für die anderen gar nicht viel tun. Er ist
einfach da bei dem, der sein Dasein braucht, bei dem Kranken, der eines
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