Das große Buch vom Räuber Grapsch
zwei Matrosen, die neben dem Fräulein Zuckerwatte leckten, die rosa Bäusche aus den Händen, stopfte sie dazu, legte den Bart darüber und machte, dass er weiterkam, denn das Fräulein begann zu kreischen. Er lief immer schneller. Er keuchte, als er den Waldrand erreichte. Von elf Krapfen war er ja nicht satt geworden. Aber an der Zuckerwatte wollte er nicht lecken. Die sollte für Olli sein.
Er musste sich eine Weile zwischen den Blaubeersträuchern ausruhen, ein zweites Mal bei der großen Eiche, ein drittes Mal vor dem Sumpf. Es begann zu schneien, als er den Sumpf überquerte. Seine Spuren verschwanden unter den dicken Flocken. Auf der anderen Seite des Sumpfes angekommen, reckte er den Kopf über das Brombeerdickicht. Neben dem Eingang zur Höhle hing Ollis blau-weiß kariertes Geschirrtuch an einer Leine zum Trocknen. „Olli!", brüllte Grapsch und rannte los. „Bist du da?" Im Höhleneingang bewegte sich etwas. Es war Olli, wahrhaftig! -im Pelzmantel. Ihre roten Haare hingen voll Laub. Mit weit aufgerissenen Augen taumelte sie heraus. „Tassilo!", jubelte sie, verlor ihren Mantel, ließ sich von ihrem Mann hochheben und küsste ihn auf Nase und Bart. „Oh mein Nockenlöckerle, mein Mondhüpfer-lein, mein Schnuckenschnickchen, mein allerliebster Räubermann -dass du endlich da bist!"
Er drückte sie vorsichtig an sich. Ihre und seine Freudentränen flössen ineinander und an seiner Brust hinunter. „Den ganzen Winter über hatte ich Angst", flüsterte er, „dass du vielleicht gar nicht mehr in der Höhle bist. Dass du fort bist - zur Oma Lisbeth in Juck am See oder heim zur Tante Hedwig. Und manchmal hab ich gedacht, vielleicht bist du sogar schon tot. Wovon hast du nur gelebt?" Sie streichelte seine Ohren. „Natürlich von Haselnüssen und Bucheckern und Brombeermarmelade", sagte sie.
„Und in den letzten Tagen fast nur noch von Zahnpasta. Wie gut, dass du damals im Herbst so viele Tuben heimgebracht hast."
„Jetzt ist Schluss mit der Zahnpasta", rief er. „Schau, was ich dir mitgebracht hab."
Er wollte Olli behutsam auf den Boden stellen, aber sie ging nicht ab. Sie war an seiner Brust festgeklebt, an der feuchten Zuckerwatte. Als sie sich endlich von ihm losgeleckt hatte, beugte er sich über den Eichentisch, zog sein Hemd aus dem Gürtel und kratzte sich die Zuckerwatte von der Brust. „Iss dich satt", sagte er großzügig.
„Nur wenn du mitisst", rief sie. „Du bist ja so blass und mager, dass ich dich fast nicht wiedererkannt hätte." Er nickte heftig und streckte die Hände nach den rosa Klumpen aus. Aber sie hielt ihn sanft zurück. „Warte einen Augenblick", sagte sie. „Ich muss dir erst noch was zeigen. Da wirst du Augen machen!"
Sie führte ihn zum Laubbett, scharrte das Laub vorsichtig auseinander und legte den Finger auf den Mund. Zuerst konnte Grapsch nichts sehen. Es war so dunkel in der Höhle. Er beugte sich tiefer. Da erkannte er ein winzig kleines Gesicht mit roten Locken und großen rosa Ohren in einem handgestrickten Schlafsäckchen. „Wer ist denn das?", fragte er verblüfft.
„Unsere Tochter", antwortete Olli stolz. „Ein bisschen zu früh gekommen. Vielleicht ist sie deshalb so klein. Aber sie ist kerngesund. Sie nuckelt wie wild. Ein richtiges Grapschkind. Jetzt fehlen nur noch neun, wenn wir unsere zwölf Stühle alle voll kriegen wollen."
Grapsch beugte sich stumm noch tiefer und tippte ganz, ganz behutsam auf die niedliche Nasenspitze.
Dann schaute er plötzlich auf und fragte erschrocken: „Du hast sie doch nicht etwa an einer Zahnpastatube nuckeln lassen?"
„Aber Tassilo!", rief Olli entrüstet. „Ich bin nicht so trottelig wie du, der Fliegenpilze isst!"
Der Räuber ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen, starrte abwechselnd auf das Kind und auf Olli und fragte verwirrt: „Und was machen wir jetzt?"
„Erst vernaschen wir mal die Zuckerwatte", sagte Olli, „und dann sehen wir weiter." Das taten sie.
D rittes B uch
Ein Eigenheim für Räuber Grapsch
Schauerliche Wiegenlieder
„Schaut her", rief der Räuber Tassilo Grapsch den Fledermäusen zu, die von der Decke seiner Höhle herabhingen, „das ist meine Tochter! Ein Prachtstück!"
Er hob das Kind an den Füßen hoch, dass es wie die Fledermäuse mit dem Kopf nach unten hing. Aber es war viel schöner als eine Fledermaus, denn es hatte rote Locken wie seine Mutter und große Ohren wie sein Vater.
Allerdings war es noch runzlig, denn es war erst einen Tag zuvor zur Welt gekommen.
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