Das große Leuchten (German Edition)
Signal.»
«Was für ein Signal?», sage ich.
«Er sagt, er muss sehen, ob wir bereit sind, mit ihm zu reden.»
«Mit geschlossenen Augen?»
Offensichtlich schon. Mit geschlossenen Augen und in Seelenruhe.
Ich mache nach einer Weile den Rücken gerade und atme ruhig, um mich nicht zu sperren, um auf keinen Fall einen schlechten Eindruck zu erwecken, und Robert ist auch schon länger bereit, wie ich sehe: Er hat sich mit den Händen hinten abgestützt und sieht dem Derwischmann ins Gesicht. Konzentriert, aber offenbar noch nicht ganz überzeugt, überraschend kritisch. Vielleicht, weil er sich tatsächlich auskennt mit diesen mystischen Richtungen, weil er erst mal sehen will, wen wir hier vor uns haben: einen Bektaschi oder einen der Hayatis, die sich von Spinnen und Würmern ernähren sollen? Oder doch nur irgendeinen Typen, der als weiser Mann hier sitzt, während er in Deutschland schon in der Psychiatrie gelandet wäre?
Mit seinem belastenden Schweigen.
Von dem man Bauchschmerzen kriegt.
Erst nach einer Weile fängt er wieder an zu murmeln, und Abu übersetzt, dass wir willkommen seien und das Versteck von Anas Mutter im Morgengrauen erreichen werden – vorher aber unter keinen Umständen, denn er müsse erst unsere redlichen Absichten testen, ehe er das Versteck preisgeben dürfe. Das sei seine Aufgabe in der Gemeinschaft, und die nehme er ernst. Er sei ein Wächter, der niemals zum Verrat gezwungen werden könne, selbst unter Folter nicht, und deshalb sitze er an diesem Ort in genau dieser Funktion.
Als Erstes wolle er uns fragen, wo wir politisch ständen.
Und indem er das sagt, sieht er mir tief in die Augen.
Wobei ich das Gefühl habe, dass ich ohnehin von mehreren Leuten fixiert werde, dass uns jemand von der Brücke aus gefolgt ist. Zumindest gibt es Bewegungen im Dunkeln, möglicherweise auch nur Tiere, ein Wüstenfuchs oder eine Ratte – wahrscheinlich eine Ratte, sage ich mir, ich sollte mich zusammenreißen. Ich sollte eine gewisse Verlässlichkeit demonstrieren.
Räuspere mich also. Sage, dass auch ich ihn herzlich begrüße und dass wir politisch auf jeden Fall redliche Absichten hätten, also mittig ständen. Oder auch etwas kommunistisch seien, verbessere ich. Also links. Doch – dass wir eigentlich sehr links seien, sage ich, kommunistisch eben, ziemlich links und ziemlich kommunistisch. Oder rechts?
Es ist nichts zu erkennen in seinem Gesicht. Ich sage letztlich, wir seien wohl auch etwas derwischhaft und antimodern – also kritisch modernen Dingen gegenüber, rechts, genau genommen. Sehr rechts oder links.
Oder mittig.
Wenn ich überhaupt zu ihm durchdringen kann.
Aber er guckt im Grunde noch ganz tapfer, denke ich, und ich sage, dass wir vor allem einfach zu Ana wollen, dass es uns darum ginge. Und er nickt mir auch zu, und Abu übersetzt seine Antwort: Ich dürfe nun schweigen. Er habe meine Antwort zur Kenntnis genommen und wolle für unbestimmte Zeit darüber meditieren.
Robert legt mir eine Hand aufs Knie, flüstert, dass ich jetzt auf keinen Fall widersprechen dürfe, das könnte alles versauen. Er habe so was schon erwartet, schließlich müssten die Leute aus dem Untergrund immer misstrauisch bleiben, da sei es nicht ungewöhnlich, dass sie einen Kontrolleur vorschickten. Abus Gesamteindruck scheint auch erst mal ein guter zu sein. Ich nehme sein zuversichtliches Lächeln neben mir wahr, während aus dem Gesicht des Derwischmannes nach einigen Minuten eine langsame Stimme entweicht. Wie ein schleichender Wind. In mehreren Zügen. Jemand Nichtvorhandenes sei unter uns.
«Was?»
«Einer von uns ist nicht vorhanden», übersetzt Abu.
Es ist ein massives Drücken, das plötzlich in meinem Brustkorb sitzt. Ein ekelhaft krampfiges und schraubendes Gefühl um das Herz herum, weil dieser Mensch offenbar irgendeine Fähigkeit besitzt, weil er irgendwie in meiner Erinnerung gelesen hat, wie auch immer so was funktioniert: Ich laufe nachts durch Frances’ Haus und denke, ich wäre nicht vorhanden. Und woher weiß er das.
Mit seinen Vogelaugen, die er jetzt langsam öffnet.
Und die spitz sind und schwarz und durchdringend und alt.
Er erklärt, dass wir noch eine sehr, sehr wichtige Sache zu regeln hätten, bevor er uns weiterhelfen könne, eine Sache, die wirklich dringend sei, denn einer von uns sei nicht existent , und das müsse sich erst noch ändern – dieser Nichtvorhandene müsse sich erst noch zeigen.
Ferner sei aber auch jemand Besonderes unter uns – jemand
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