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Das große Leuchten (German Edition)

Das große Leuchten (German Edition)

Titel: Das große Leuchten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Stichmann
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in den Augen. Ich versuchte, mich von ihnen wegzudrehen und mich halbwegs zuzudecken, indem ich die Decke mit den Füßen zu mir zog – aber Lydia kam mit einem Lächeln aus dem Schatten und zog sie wieder zurück.
    «Du wirst ja beinahe nassforsch!», sagte sie.
    «Lass mich, ich steig aus! Ich hör auf.»
    «Entspann dich, ich werd dir erst mal ein paar von meinen Filmen zeigen. Du musst noch viel lernen über die Schauspielerei! Das hier ist zum Beispiel mein allererster Film. Der Apfelbaum , schaust du mal bitte her?»
    Ihr Laptop leuchtete, ein starkes Blenden im dunklen Raum.
    Sie ließ tatsächlich ihre Kurzfilme laufen, während ich meinen Körper unter Kontrolle zu bringen versuchte. Ein nacktes Mädchen saß etwa drei Minuten unter einem Apfelbaum, dann erhängte es sich daran, und dann lag ein Manuskript unter dem Apfelbaum, das Der Apfelbaum hieß. Der nächste Kurzfilm hatte den Titel Das Haus . Lydia lief schreiend mit einem Brotmesser durch leere Räume, alles war schummrig und schwarz-weiß, sie zog sich aus und schmierte mit ihrem Blut den Schriftzug Das Haus ist tot an die Wand.
    Ich holte tief Luft, um nach Ana zu rufen, aber in diesem Moment kam der nächste Film, und ich erschrak, weil ich selbst zu sehen war.
    Im Regen.
    In dem, durch den ich vor einem guten halben Jahr gelaufen war.
    Das Bild war verwackelt, und ich lief und schrie mit heller, heiserer Stimme Ana Ana Ana Ana – woran ich mich gar nicht mehr erinnern konnte. Dann hockte ich unter einer Laterne und leckte sie, und mein Gesicht wurde rangezoomt. Ich sah, wie Ana im Gebüsch pisste, ein paar Tage später, und als Nächstes: wie Ana und ich im Wohnwagen miteinander schliefen, irgendwann im Frühling – durch das Fenster gefilmt.
    Für einen Moment war mir, als wäre ich verschwunden, als gäbe es mich überhaupt nur in diesem Film. Als wäre mein Ich aufgelöst, als wäre Lydia hier das Gehirn, in dem sich alles bewegt.
    Anscheinend hatte sie die ganze Zeit nichts Besseres zu tun gehabt, als uns zu verfolgen – ich sah, wie Ana und ich bei den Hochhäusern standen und uns küssten, wie wir in der Stadt rumliefen und uns die Geschäfte ansahen.
    Der Laptop ging aus, und die Lichter waren wieder an.
    Lydia saß neben mir auf dem Bett und lächelte, an ihrem Zeigefinger hing der Handschellenschlüssel.
    «Das ist meine Arbeit», sagte sie. «Liebst du meine Arbeit? Du liebst sie sehr, oder? Aber du bist leider ein kleines Nazischweinchen, das ist schade. Du willst alles für dich haben, Süßer, weil du ein kleines Nazipimmelchen bist.»
    Sie pustete sich eine Strähne aus der Stirn und legte lächelnd den Kopf in den Nacken, und ihr großer Adamsapfel bewegte sich, weil sie noch etwas Unverständliches flüsterte. Aber mir wurde plötzlich klar, dass ich sie gar nicht verstehen sollte, dass es von Anfang an ihre Absicht gewesen war, Chaos zu stiften; und jetzt wollte sie wahrscheinlich filmen, wie ich mich aufrege und schreie und an den Handschellen zerre. Es war eine bösartige Nummer, eine berechnende Verwirrung, mit der sie mich fertigmachen wollte.
    « Der feuchte Traum des Jägers ist noch nicht fertig. Das Finale müssen wir noch drehen, mhm?»
    Sie guckte hellwach, als hätte sie eine Vitaminspritze bekommen, als würde wieder Leben durch ihren schlaffen Körper fließen. Ich wollte nach ihr treten, aber dann hatte sich etwas verändert: Sie hatte mir die Handschellen abgenommen.
    Ganz zart.
    Saß plötzlich wie eine Mutter neben mir und streichelte mir sanft über den Kopf. Wie meine Mutter, dachte ich, wie eine hässlichere, dunklere Version meiner Mutter, die plötzlich zärtlich werden will.
    Ana stand in der Tür und sah uns an.
    «Draußen regnet’s. Wir können eine Regenszene drehen! Lescek macht mit.»
    Lescek kam hinter ihr die Stufen hoch. Besoffen. Er musste sich an Ana festhalten, und sie schwankte auch, der Haarreif mit dem Plastikhorn saß ihr schief auf dem Kopf. Lydia machte ein Gesicht wie ein Engel.
    «Kommt rein. Wir haben uns gerade unterhalten.»
    Mir kam nichts über die Lippen. Ich nahm an, dass Ana mir das mit den Filmszenen gar nicht glauben würde, dass sie wieder sagen würde, ich solle keine Gespenster sehen.
    Aber ich konnte aufstehen.
    Mein Körper war wieder da.
    Ich schob Lescek zur Seite und zog Ana an der Hand mit raus, wir stolperten die Stufen runter, und ich zog sie Stück für Stück durch den Schlamm, obwohl sie schimpfte und sich loszureißen versuchte. Ich wusste, dass ich gar kein

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