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Das große Leuchten (German Edition)

Das große Leuchten (German Edition)

Titel: Das große Leuchten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Stichmann
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nach ihrer Jacke wühlte, holte ich schnell eine Patrone raus, lud die Browning durch und schoss in die Luft.
    Arme durchgestreckt. Augen weit offen.
    Ich fühlte mich danach; ich wollte einfach mitlärmen bei diesem Gewitter; ich wollte Lescek sagen, dass er sich seine Pistole ruhig wiederholen konnte, wenn er sich traute.
    Ana weinte. Zumindest sah es ein bisschen danach aus im Regen. Ich hatte sie erschreckt. Aber mir wurde warm, weil sie gleichzeitig zu lächeln versuchte und weil ich wusste, dass es genau richtig war, sie zu erschrecken. Es sah aus, als wollte sie mich darum bitten, sie von hier wegzubringen, als würde sie auch spüren, dass wir etwas viel Solideres anfangen mussten. Ich sah es ganz deutlich. Ich konnte es spüren. Etwas anderes als dieser Märchenkram. Etwas mit Zukunft und Geld.
    Dann rannte sie vor, die Blitze zuckten rhythmisch; der erste Blitz: Ana im grünlichen Regen, dick eingepackt in ihren Parka. Der zweite: Ana noch weiter vorne, mit einem schrägen Lächeln. Der dritte: Ana auf einer Betonröhre balancierend, die Arme ausgestreckt.

[zur Inhaltsübersicht]
    Ich möchte das Oberhaupt einer persischen Großfamilie sein
    1
    Ordnung ist das halbe Leben. Ordnung ist eigentlich sogar alles, und alles ist miteinander verflochten, denke ich. Während wir durch die Teheraner Straßen fahren. Durch den irrationalen Verkehr, durch das Chaos aus Mopeds, Schrottautos, rotem Staub und Händlern. Hinter dem aber eben, denke ich, immer stärker eine Struktur sichtbar wird, vielleicht sogar ein schicksalhaftes Muster, das ich hier vorsichtig wahrnehme. Indem ich mich nicht blenden lasse von der Sonne, von den bunten Mosaiken der Palastmauern, die in der Mittagshitze funkeln und leuchten. Indem ich mich von gar nichts blenden lasse.
    Sitze hier im Gegenteil mit einem besonders kühlen, sortierten Kopf in Abus Schrottkarre, stadtauswärts unterwegs.
    Denn das Versteck von Anas Mutter befindet sich nicht grade um die Ecke, aber wir haben ja die Adresse, der Derwischmann hat sie uns aufgeschrieben. Und dass wir ihn nicht mitgenommen haben, war auch genau die richtige Entscheidung – es wäre nur unnötig kompliziert geworden mit diesem Typen.
    Brettern also sehr orientiert aus der Stadt.
    Finden hier den Ausgang und fahren in dieses abrupt beginnende Land.

    Ich sehe mit einem Auge noch den blütenweiß leuchtenden, in sich verdrehten Freiheitsturm auf dem Azadi-Platz und mit dem anderen Auge schon den kreisenden Adler, der plötzlich wie ein lebloser Gegenstand ins Tal fällt. Abus Vater drückt das Pedal durch, und wir jagen eine Gebirgsstraße rauf und runter, nehmen die Kurven eng, verlieren keinen Meter. Bleiben dann hinter Schrottlastern hängen, die das Vielfache ihres Eigengewichts geladen haben. Obendrauf sitzen Arbeiter und verfolgen mit trägen Augen unser Pendeln, während Abus Vater es fertigbringt, mit einer Hand den Sitz zu verstellen und mit der anderen Hand hin und her zu lenken, und gleich ist die Lücke wieder da, und wir jagen in einen Ausschnitt greller Sonne.
    Essen dazu kandierte Fruchtwürfel, die uns Mutter Merizadi reicht.
    Sie sitzt auf der Rückbank zwischen Robert und mir, holt auch Pflaumen, Nüsse und süßen Zwieback aus ihrer Tüte. Sie will ihren Vater besuchen, wenn wir sowieso ans Kaspische Meer fahren, hat sie gesagt. Schließlich sei sie ja auch in Sari geboren, auf einer Orangenfarm, im selben Dorf wie Anas Mutter.
    Ihr Gesicht macht richtig mit beim Sprechen, ihre ganze Kindermimik ist in Bewegung, während sie uns handwarme Pistazien reicht. Zwischendurch ist mir, als würden wir ein bisschen zusammenwachsen in dieser engen Karre, in dieser einlullenden Hitze, vier Quadratmeter warmes, zusammengepresstes Fleisch. Draußen fliegen lehmfarbene Minarette und Reisplantagen vorbei.
    Robert erzählt dazu, völlig unpassend, etwas über Zwiegesichtigkeit . Über Schizophrenie also, wie er uns erklärt.

    Ich weiß gar nicht, wie er dazu kommt – plötzlich holt er auch noch seine Holzschatulle mit den Medikamenten raus, erzählt ganz offen von seinem Psychiatrieaufenthalt. Es ist das erste Mal, dass ich ihn das Wort Schizophrenie aussprechen höre.
    Dieser Tyrhkrdn, sagt er, sei nämlich seines Erachtens auch leicht schizophren gewesen.
    Was aber gar nicht bedeuten solle, dass er nichts draufgehabt hätte, das nicht, das eine schließe das andere ja nicht aus. Im Gegenteil: Leute wie er und Tyrhkrdn würden eben häufig mit beidem in Verbindung gebracht, mit Wahnsinn

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