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Das große Leuchten (German Edition)

Das große Leuchten (German Edition)

Titel: Das große Leuchten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Stichmann
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das sie von ihrem Vater bekommen hatte, obwohl sie die Schrift gar nicht lesen konnte. Daneben zwei Fotos von ihrer Mutter, fast identische Passfotos, eine freundlich guckende junge Frau mit einem blauen Kopftuch und Anas Augen. Ich sagte mir, dass sie sicher meiner Meinung wäre, dass sie es sicher gut finden würde, was ich hier tat.
    Ich ohrfeigte sie. Sie murmelte schwach. Nur sehr langsam schien die Erinnerung zurückzukommen, und es sah nicht aus, als würde sie ihr gefallen.
    «Wo warst du denn?», sagte sie.
    «Überall», sagte ich. «Ich hab euch gesehen.»
    «Wann?»
    «Wann ist egal, wir verschwinden jetzt von hier. Lydia hat uns heimlich gefilmt, und zwar die ganze Zeit. Aber du begreifst es eh alles nicht.»
    Sie hatte sich aufgesetzt, versuchte mich anzusehen und sah dann doch auf den Boden.
    «Wann hat sie uns gefilmt?»
    «Egal. Immer eben.»
    «Also, das andere, das war eigentlich nur Spaß gewesen, weißt du?»
    «Ja, ja, ich wurde auf die Art gezeugt.»
    «Was hat das denn damit zu tun? Es war wirklich nur Spaß, das kann man doch machen, oder? Willst du immer nur mit mir schlafen, nur weil wir zusammen sind?»
    «Ja.»
    Ich drehte mich um und ging zum Fenster, während sie hinter mir rumdruckste und sich anzog. Ich überlegte, ob ich wirklich komplett naiv war, aber es kam mir eigentlich nicht so vor. Wenn ich es bin, dachte ich, werde ich es auf jeden Fall ab jetzt nicht mehr sein.
    «Na ja», sagte sie.
    «Was NA JA?»
    «Ich versteh es schon, dass Lydia komisch ist. Aber ansonsten war es nur so aus Quatsch gewesen, weißt du? Du denkst immer zu viel.»
    «Du denkst immer ZU WENIG, dir sind alle egal!»
    Ich sagte mir, dass ich hart bleiben musste, dass sie sich wahrscheinlich sogar wünschte, dass ich nicht immer so schwach war und sie alles machen ließ wie ihr Vater. Meine Sachen hatte ich schon gepackt. Die Pistole hatte ich in der Tasche meines Parkas. Ich wollte sofort los, und zwar mit ihr, ob sie wollte oder nicht.
    «Es ist doch entspannt. Findest du nicht, dass man das alles locker sehen kann, wenn es nur Ficken ist?»
    «Sag nicht Ficken.»
    Sie kam jetzt ganz langsam und umarmte mich von hinten, als wäre es romantisch, als wollten wir den Ausblick aus dem Fenster genießen, den Blick in den Regen, und ich zuckte, während sie mir über den Kopf zu streicheln versuchte. Aber ich fror, und sie war warm, und als ich sie halbherzig wegstieß, kam sie eh wieder.
    «Es ist doch wirklich nur Geficke», flüsterte sie. «Es ist nur ein bisschen Geficke. Und es ist ja auch ganz anders als mit dir. Ich war eben total besoffen. Wenn wir ficken, ist es doch etwas ganz anderes.»
    «Sag nicht immer Ficken.»
    «Aber es ist doch Ficken! Es ist nichts anderes als Ficken. Und bei UNS ist es eben ein ganz anderes Ficken!»
    Das Wort war das Schlimmste überhaupt. Draußen donnerte es schon wieder; alles war von Wasser verdeckt.
    Dann spürte ich, wie sie hinter mir anfing, ihre Sachen zu packen. Ich atmete flach, ich bewegte mich kein Stück, obwohl ich das Gefühl hatte, gleich umzufallen vor Erleichterung. Ihre Stimme war jetzt leise und hastig. Sie sagte, sie käme natürlich mit und wir sollten sofort los, dann müsste sie die anderen auch nicht mehr sehen. Sie sagte, sie liebe mich, sie wolle mich nicht verlieren. Ich sei der einzige Mensch, der ihr überhaupt wichtig sei auf dieser Welt, neben ihrer Mutter.
    Als ich mich umdrehte, war sie schon aus der Tür.

    Die Blitze machten etwas mit meinem Blut.
    Es fühlte sich an, als wäre ich innerlich vergoren und gleichzeitig von einer neuen, fast unnatürlichen Kraft erfüllt. Es hatte auch mit der Browning zu tun und damit, dass Ana so kränklich vor mir herlief und dass ich der sein wollte und der sein würde, der sie beschützte. Ihr Rucksack war zu groß für sie, sie schwankte hin und her, und ihr Kleid war zu dünn, es war eins von Lydias Kleidern, rosa, dazu trug sie die grünen Knieschützer, die sie im Sperrmüll gefunden hatte. Sie sagte, sie würde das Kleid behalten, das sei die Mindestgage für den Film, den Lydia wahrscheinlich ins Internet stellen und sich tausendmal ansehen würde. Sie wolle es gar nicht wissen.
    Dann lief sie wieder vor, an rasselnden Drahtzäunen und klappernden Lagertoren vorbei, durch die elektrisch geladene Luft.
    «Ist alles wieder okay?», rief sie. «JA?»
    «Als Erstes ziehst du mal deine Jacke an», rief ich. «Du frierst dich ja tot.»
    Sie nickte ganz brav und stellte ihren Rucksack ab. Während sie

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