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Das große Leuchten (German Edition)

Das große Leuchten (German Edition)

Titel: Das große Leuchten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Stichmann
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Ziel hatte und dass ich hinfallen würde, aber ich kämpfte mich weiter nach vorne. Geradeaus.
    Dann lag ich.
    Um mich herum war es kalt.
    Ana sagte, ich hätte ihr wehgetan. Lydia sagte, dass ich nichts dafür könne, weil ich zu breit und besoffen sei. Und dass sie mich jetzt ins Bettchen bringen werde.
    Und dass Ana und Lescek schon mal ins Warme gehen sollten.

6
    Als ich zu mir kam, war ich immer noch in Lydias Film. Es war das Erste, was ich sah: das rote Auge. Es sah mich an, und als ich aufstand, zuckte es zurück wie eine Katze und verschwand aus dem Tor.
    In diesem verlassenen Sägewerk. In dem ich anscheinend war.
    Und als ich die Straße runterging, komplett durchgeweicht, verdreckt und frierend, konnte ich das Plastikfenster von Lesceks zerbeultem Wohnwagen leuchten sehen. Ich ging schneller und fing an zu rennen. Ich hoffte, dass sie nur reden oder trinken würden, dass sie nur Karten spielen oder kiffen oder sonst was machen würden, aber ich wusste es schon. Als ich durch das Fenster sah, bewegte sich Anas nackter Rücken dahinter. Auf und ab. Ihre Klamotten lagen auf dem Boden. Zusammen mit Lesceks Klamotten.

    Ich drehte mich um. Ich ging geradeaus. Ich lief und lief, und irgendwann stand ich in einer riesigen, leuchtenden Pfütze unter den Laternen. Ich schüttelte mich und versuchte, woanders aufzuwachen, das hier hinter mir zu lassen wie einen Tagtraum, wie ein flüchtiges Wahnbild, das man noch aus dem Traum mitnimmt. Aber es war real. Ich konnte nur weiter durch die Pfützen gehen. Ich konnte nur Steine gegen die Wände der Hochhäuser werfen und diese schlechten kleinen Geräusche erzeugen, die niemand hörte: plik plik plik .

    Als ich irgendwann wieder durch das Fenster sah, waren sie immer noch beschäftigt. Lescek nahm sie jetzt von hinten, ganz langsam. Mit dem Rücken zu mir. Anas Füße zuckten, sie hatte ihre Tennissocken noch an, wie immer. Ich musste daran denken, wie sie mal gesagt hatte, die meisten Menschen fänden, dass die Socken unbedingt ausgezogen werden müssten beim Sex. Und dass es erstaunlich passend sei, dass ich es gut fand, weil sie es sowieso oft vergesse. Und dass wir so ineinanderpassten.
    Ich sah ihre weißen Shorts auf dem Boden. Ihre Springerstiefel. Den Haarreif mit dem Plastikhorn. Lescek bewegte sich schneller. Er fickte sie.

    Lydia filmte nicht drinnen, sie filmte draußen. Das rote Auge war hinter mir im Wasser.
    Ich rannte, ich sah Lydia rennen, ich sah ihren segelnden Tellerhut, ich wollte sie kriegen, aber ich fiel immer hin. Dann war um mich herum Gebüsch, und ich machte die Augen zu. Ich tat jetzt vor mir selbst, als würde ich schlafen.

    Später war der Regen schwächer geworden. Ich robbte ein Stück vor und sah Ana und Lescek vor Lesceks Wohnwagen stehen. Sie wirkten wie aus grauem Knetgummi in der ersten Morgendämmerung, sie trugen graue Thermojacken, die ich nicht kannte, wahrscheinlich hatte Lescek sie irgendwo geklaut. Ana schwankte immer noch. Sie sah sich um, als würde sie nach mir suchen. Einen Moment sah sie in meine Richtung, ohne mich zu sehen, und ihr Gesicht wirkte müde, und ich liebte sie. Ich wusste, dass wir verbunden waren. Sie sah aus wie ein dick eingepacktes, verlorenes Eskimokind, auf das ich aufpassen musste. Ich sagte mir, dass es nicht ihre Schuld war, dass es mit dem kranken Chaosgehirn zusammenhing, in dem wir uns hier befanden. Wem auch immer es gehörte. Vielleicht war es meins oder Lydias. Oder Lesceks. Aber Anas war es nicht, Ana war einfach nur Ana. Sie hatte kein Ziel.

    Drüben bei den Hochhäusern schwelte ein Sperrmüllhaufen, der in der Nacht angezündet worden war. Ich sah Lescek dort stehen, ich sah, dass Ana in die andere Richtung die Straße runtertorkelte. Mein Hals war voller Schleim, und mein ganzer Körper war steif, aber ich wusste, dass ich es jetzt machen musste; ich schlich zu Lesceks Wohnwagen und stieg vorsichtig ein, ich versuchte, das zerwühlte Bett nicht zu beachten.
    Sie lag direkt vor mir auf dem Tisch. Als hätte er sie extra für mich bereitgelegt. Zusammen mit dem Schulterholster und dem Lederetui für die Patronen.

7
    Viel später an diesem Tag regnete es immer noch und wieder stärker. Ana lag auf der Matratze und machte die Augen nicht auf, zog nur die Augenbrauen zusammen, als ich ihr einen Becher Wasser übergoss. Es sah aus, als wollte sie sich ganz fest darauf konzentrieren, nicht aufzuwachen. Direkt über der Matratze hing ein iranisches Faltblatt von der kommunistischen Partei,

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