Das große Leuchten (German Edition)
Jahres will er hier sein Natur-Hotel aufmachen, die Renovierungsarbeiten laufen.
Näher am Haus höre ich Klaviermusik, die mich ein bisschen beruhigt. Frances hat das Radiohören für sich entdeckt: meistens Klassik Lounge oder Legenden der Klassik .
Und ich kann dann mit dieser Begleitmusik irgendwo in den Büschen stehen bleiben und mir durch die Blätter die Pantomime auf der Terrasse ansehen: Robert sitzt dort seitlich im Korbstuhl und liest. Frances hängt Vogelknödel auf und sieht immer zu ihm rüber. Als würden sie miteinander reden, aber es gibt überhaupt keine Bewegungen der Münder. Robert sieht auf, aber jetzt guckt Frances plötzlich auf den Boden, hockt sich hin, um da etwas wegzukratzen, und er bewegt eine Hand in der Luft, als würde er eine Antwort formen.
Mutter und Sohn im Gespräch.
Während ich hier als Dauergast im Kräuterduft stehe.
Aber zumindest: als erwünschter Dauergast, das schon. Frances sieht mich inzwischen sogar an, hebt den Kopf, wenn ich vor der Veranda erscheine. Fordert mich zur Mithilfe beim Blumengießen auf. Dabei wollte ich nur nach einem neuen Farbband fragen.
Aber neuerdings wird man hier ja direkt einbezogen. Ich halte den Hocker fest, und sie steigt drauf, lässt Wasser aus dem langen Hals der Blechgießkanne in die Hängeblumentöpfe laufen. Ihre Beine, die ich dabei im Gesicht habe, sind knochig und warm unter der Leinenhose.
In die Blumen hinein erzählt sie, dass sie sich das mit dem Radio letztes Jahr während unserer Abwesenheit angewöhnt habe, es sei einfach viel zu leise gewesen, sie sei ja das erste Mal so ganz alleine gewesen im Haus.
Ihre Stimme: gewohnt trocken und streng. Es klingt wie ein Vorwurf, was sie sagt. Ich begreife immer erst nach einer Weile, dass sie eigentlich etwas Nettes sagen will. Und wie immer fällt mir keine Antwort ein, aber da winkt mich Robert auch schon in den Saal, die Ohrensessel müssen geleimt werden, und ich soll ihm helfen.
Er meint, dass Frances sicher etwas netter geworden sei und dass es aber vor allem so sei, dass ich auch freundlicher sei – hauptsächlich habe es nämlich an mir gelegen. Als ich frage, was das heißen soll, sagt er, er meine dieses Grunzen, dieses verächtliche Grunzen und dieses hasserfüllte Gesicht, das ich früher bei jedem Wort von ihr aufgesetzt hätte, weil ich ihr anscheinend die Schuld gegeben hätte am Tod meiner Mutter. Und dass sie deshalb oft so abweisend reagiert hat, weil sie mit so was nicht umgehen kann.
«Außerdem glaube ich, dass sie glaubt, dass du dir Vorwürfe machst wegen deiner Mutter und dass sie dir immer sagen will, dass du das nicht solltest.»
«Warum sagt sie es dann nicht?»
«Was weiß ich, ich denke ja nur, dass sie es denkt.»
Das Farbband vergesse ich dann. Ich muss noch mal hin und zurück. Vorbei am großen Komposthaufen, auf den ich Anas Kapuzenpullover geschmissen habe. Er muss inzwischen ganz unten liegen.
Das Labyrinth des Gartens verzweigt sich und wächst und quillt und stinkt.
*
Aber schließlich habe ich es, das Farbband, und ich schreibe: Frances steigt in den Bus . Denn das ist die Situation.
Sie steht an der Bushaltestelle, steigt ein und fährt freiwillig mit anderen Menschen zusammen Richtung Stadt. Und zwar nicht in ihren Leinenklamotten, sondern in einer schwarzen Stoffhose und einem weißen Hemd mit dezenten Rüschen an der Knopfleiste – Robert sagt, sie habe es mal in einem Dritte-Welt-Laden gekauft.
Ihr Gesichtsausdruck: normal.
Ihre Haltung gerade und ruhig.
Neben sich auf dem Sitz: zwei große Leinenbeutel voller abgepackter Teemischungen, von Holunder über Wiesenwolf bis zu Feuerblume, das Beste aus ihrem Garten – was man wahrscheinlich im ganzen Bus riechen kann. Und hinter dem Fenster ziehen die Felder und die immer dichter stehenden Häuser vorbei, und Mädchen in Miniröcken und Jungs mit Bierflaschen steigen zu und rufen irgendwas Versautes und essen billigen Döner – aber Frances bleibt gelassen, sie sitzt hinten auf dem Vierer und hat die Augen geschlossen.
Zieht vielleicht ihre Tasche ein wenig zu sich ran.
Fährt ans unangenehmere Ende der Stadt.
Und als sie aussteigt, befindet sie sich wirklich im Unangenehmen, denn da sind skrupellose Leute im Schatten, und wann immer sie sich umdreht, scheinen es mehr geworden zu sein. Funkeln da mit ihren Augen und Messern, flüstern aus den Ecken heraus und machen einem Angst. Und in der Zeitung konnte man lesen, dass sie morden und vergewaltigen, auch alte Frauen,
Weitere Kostenlose Bücher