Das große Leuchten (German Edition)
von Abu und seiner Familie, und sie zeigen schöne Teheran-Motive, sodass man eigentlich noch mal hinfliegen möchte.
Der hell illuminierte Basar bei Nacht, ein paar Moscheen und Palast-Motive, buntgeschmückte Wachen, die sehr harmlos aussehen und ein bisschen wie Blumensträuße, Postkarten eben – es sieht natürlich viel friedlicher aus, als es in Wirklichkeit ist. Aber Abu schreibt, es gehe ihm gut im Moment. Nassir Chan habe ihn vom Lager an die Kasse des Tuchladens befördert, unser Besuch habe ihn insgesamt motiviert. Er wolle jetzt Geld sparen, um es wirklich eines Tages ins Ausland zu schaffen. In der Zwischenzeit könnten wir ihn jederzeit wieder besuchen.
Ich habe allerdings zurückgeschrieben, dass das zumindest mir so bald nicht möglich sein wird. Weil ich hier mehr oder weniger, habe ich ihm geschrieben, an meiner Hermes 1000 festgewachsen bin. Es liegt eben daran, dass es mir doch manchmal vorkommt, als würden sich die Dinge ordnen, als würden sich die Worte zu so was wie einer Geschichte verbinden.
Zu einem Sinn.
Sodass alles an seinen Platz rücken wird.
Passend dazu vertiefe ich mich in das Abc der Parapsychologie . Manchmal finden sich überraschend einleuchtende Ansätze darin:
Der Dachdecker Arthur H. aus London stellte 1887 fest, dass er in der Lage war, Kontakt zu seinem verstorbenen Vater herzustellen, indem er mit dem Zeigefinger über Eichenholzmaserungen fuhr, welche er zuvor mit Seifenlauge eingerieben hatte. Später wurde von → Schrenck-Notzing vorgeschlagen, dass es sich bei dem beschriebenen Vorgang auch um eine gewöhnliche → ektoplasmatische Teleportation nach → Beck gehandelt haben könnte.
Was ja in etwa mein Reden ist.
Zumindest dass Zusammenhänge hergestellt werden müssen, dass man das Chaos nicht einfach so hinnehmen kann und dass grade der Tod eingeordnet werden muss, leuchtet mir ein, habe ich Abu geschrieben. Warum nicht mit Hilfe von Seifenlauge und Eichenholzmaserungen? Vielleicht, habe ich Abu geschrieben, dass dieser Arthur H. im Holz ein bestimmtes Muster ertastet hat?
Da – Frances hat wieder die Glocke geläutet.
*
Was ich aber ablehne, ist Jogging.
Das hat mir Robert nämlich geraten: Ich solle nicht den ganzen Tag in der muffigen Laube sitzen und tippen, ich solle mich bewegen, um durch die körperliche Betätigung auch geistig fit zu bleiben. Er selbst läuft jetzt alle zwei Tage durch den Wald – was mir aber wirklich zu weit geht, vor allem bei der Hitze. Höchstens kommt es vor, dass ich mal ein paar Kniebeugen mache oder dass ich meinen Fencheltee im Stehen trinke und mir noch mal die Postkarten ansehe. Wobei ich zwangsläufig neben den schönen Teheran-Motiven auch die andere Postkarte sehe – die von Ana, die ich mir zur Warnung dazugehängt habe. Sie kommt aus Holland, an Frances geschickt, eine Windmühle und ein paar Tulpen unter einem hellblauen Himmel sind darauf zu sehen. Veel Groeten uit Zwaag aan Zee. Ich weiß dann, dass ich auf keinen Fall wieder wehleidig werden darf, dass ich mich nicht in Wunschträumen verlieren darf, die nur in der Wirrnis enden.
Es lässt sich eben nicht alles sortieren, sage ich mir. Wenn es nicht geht, muss man sich zur Disziplin aufrufen im eigenen Hirn.
Und wenn ich doch wieder ins Abrutschen gerate, sehe ich mir eben noch mal die Karte an, das hilft, zumindest ein bisschen: lieblose Windmühle, hässliche Tulpen. Denn Zwaag aan Zee ist natürlich nicht der Schicksalsort, an dem sich irgendwas hätte fügen können – eher ein Kaff in Nordholland, wo man am Strand liegt und kifft. Es ist in dem Maße wahr, in dem es lächerlich ist. Es reicht, wenn ich nachts darüber nachdenke, nicht auch noch am Tag.
Hey du! Ich hoffe, du bist mir nicht böse! Ich habe eine Straßentheatergruppe getroffen und bin spontan mit nach Holland gefahren. Ich konnte dich morgens nach der Party nicht finden, aber wir hatten uns ja eh nicht mehr so gut verstanden. Oder zumindest hatte ich dich leider nicht mehr so gut verstanden.
Hoffentlich geht es dir gut!! Bis irgendwann mal!!
Ana
*
Spiegelscherben, die aggressiv in den Büschen blinken. Geflatter von Vögeln, die sich von den Spiegelscherben nicht abhalten lassen. Im ganzen Garten herrscht eine stickige, inwendige Stimmung. Zwischen den Kräutern stecken Schildchen mit lateinischen Namen, Delphinum consolida und Psilocybe cyanesdens . Robert hat mit dem Bau einer zweiten Laube begonnen, in der die Kräuter getrocknet werden sollen. Anfang nächsten
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