Das große Leuchten (German Edition)
Dickicht, um sie nicht in mein neues Leben mitnehmen zu müssen.
Ana gab mir die Flasche. Den Katzenmann trieb es weiter. Ich merkte, dass wir in der Zwischenzeit nicht stehen geblieben waren – es war so, dass man von alleine ging, weil vorne und hinten gegangen wurde.
Den Berg kannte ich. Wir befanden uns nicht sehr weit von Frances’ Haus. Ich hatte früher oft aus dem Fenster des Gästezimmers in den Nachthimmel gesehen, und von dort aus war das hier ein dunkelvioletter Schatten gewesen, ein von der Stadt violett angestrahlter Berg, auf dem ich Ruinen und Fledermäuse und Rätsel und Zauberer vermutet hatte.
Als wir oben ankamen, waren kleine, zwiebelförmige Autos mit Werbeaufschriften vorhanden. Es musste irgendwo eine Zufahrtsstraße geben. Große Boxen und Scheinwerfer waren rund um die steinige Fläche aufgebaut, auch einige Getränkestände; eine Plastikplane flatterte über uns. Seitlich waren Autoreifen als Sitzgelegenheiten arrangiert. Ich setzte mich und sah zu, wie Ana zwei Flaschen von dem Energiegetränk der Firma Tohuwabohu holen ging. Es gab sogar eine überdimensionale, hüpfburgähnliche Tohuwabohu -Flasche am Rand, in die von unten Luft hineingepustet wurde.
Sie ging vorgebeugt, in ihrem vertrauten, halb stürzenden und halb zögerlichen Gang, und ich dachte, dass es schön war, wie sie ging, und dass ich immer der einzige Mensch sein würde, der das sehen konnte. Die anderen Leute waren in Bewegung, sie fotografierten sich mit ihren Telefonen und gaben Gesänge in die Luft, die ganz ungewöhnlich klangen – zungenlos und nasal, als wollten sie sich singend gegenseitig erschrecken. Als ich merkte, dass bräunliche Pflanzenteile in der Flasche schwammen, aus der ich trank, stellte ich sie vorsichtshalber weg.
«Was ist das für eine Musik?», fragte ich.
«Fressgeräusche von Insekten», sagte ein junger Mann.
«Wie nennt man diese Musik?»
«Dark Psy.»
Die Leute tanzten in Zeitlupe oder eckig oder geduckt oder springend, und in ihren Augen war ein Erstaunen darüber zu sehen, dass sie sich so bewegten. Es sah aus, als wollten sie möglichst überraschend rotieren – und für Momente schienen sie sich tatsächlich zu überrumpeln und machten einige Drehungen, die sie wahrscheinlich selbst nicht vorausgesehen hatten. Sicher, dachte ich, gehörten sie eigentlich zur normalen Gemeinschaft der Menschen, sicher waren sie unter der Woche Bäcker, Lehrer, Bürgermeister, Kindergärtner. Ehemänner und Ehefrauen. Ich hoffte es, ich hoffte, dass sie alle zufrieden waren und einen festen Platz hatten in ihren Leben, dass sie nur manchmal, an Tagen wie diesem, so taten, als wären sie einsam und wahnsinnig.
Dann war es so, dass ich triumphierte. Ich tanzte. Und ich war glücklich damit, dass ich tanzte. Das Lied schien sehr lang zu sein, ungewöhnlich lang, aber es gefiel mir, weil es wie Ebbe und Flut klang und sich an- und abspannend in sich selbst zurückzog.
Auch die Dunkelheit, die mich umgab, war okay und sogar leicht angenehm. Der Weg, der jetzt vor mir war, führte entspannt bergab. Ich wusste nicht genau, wo ich war, aber ich empfand ein reines, starkes Jesus-Gefühl. Ich dachte, dass ich nun vielleicht in die Welt hinausging, um anderen in ihrer Verirrung ein Licht zu sein.
Es gab dort auch andere Menschen, die etwas Heiliges an sich hatten, vor allem zwei, zwei glatzköpfige Mädchen. Beide hielten sie Getränkedosen, und beide hatten sie Halsbänder mit langen Nieten, und sie sahen mich feurig und fordernd an, mit dem Blick derer, die es ernst und radikal meinen mit dem Leben. Erst nach einer ganzen Weile wurde mir bewusst, dass ich vor einem der zwiebelförmigen Autos stand. Die Mädchen waren dort auf die Motorhaube gesprayt, mit den silbernen Getränkedosen in den Händen, für die sie wohl warben. Ihre Augen waren aber voller Glut.
Ich schoss jetzt.
Etwas reizte mich plötzlich, ein paar Schüsse abzugeben.
Als ich die Augen aufmachte, sah ich, dass ich in den Waldsee geschossen hatte, in der Nähe der Lichtung, an der ich das erste Mal mit Ana geschlafen hatte. Es war taghell.
Ich lief durch die Sonne zu Frances’ Haus. Es war sehr still, ich hörte nichts und sah keine Menschen. Aber etwas an der Art, wie die Terrassentür aufstand, sagte mir, dass meine Mutter da war. Es passte auch sehr gut. Ich wollte ihr die Pistole bringen, deshalb ging ich hier lang.
Ich fand sie im unteren Bad, in der Badewanne. Sie lächelte und goss sich aus einer Flasche Badezusatz
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