Das große Leuchten (German Edition)
zum Baumstumpf, an den Füßen, damit sie ohnmächtig werden. Die anderen Hühner sollen nichts mitkriegen, deshalb ist die Mauer dazwischen, und die beiden Todeskandidaten selbst kriegen auch nichts mit, die haben jetzt das Blut im Kopf und träumen einen umgedrehten Traum, mit halbgeschlossenen Augen, so stelle ich mir das vor. Kaum dass sie dann auf dem Baumstumpf liegen und zur Besinnung kommen, fällt auch schon das Beil. Es geht butterweich – ich ziehe den Hals mit der Linken lang und lasse das Beil einfach fallen.
Der Schweiß an meiner Stirn ist kühl, die Körperwärme der Hühner liegt in der Luft. Mit nacktem Oberkörper warte ich auf weitere Hälse und bin ein verantwortlich arbeitender Töter – Konzentration und ab, Konzentration und ab.
Denn auch wenn es so leicht geht, ist es natürlich eine ernste Sache – die Hälse müssen unbedingt beim ersten Schlag durchgetrennt werden, man darf nicht zögern in der Bewegung, weil man dann schmerzhaft nachhacken muss. Ich entwickle dabei einen gewissen Ehrgeiz, ich bewege mich rhythmisch. Die Wiese verfärbt sich lila, das heiße Blut fließt über Frances’ Hände. Sie sieht mir in die Augen, während sie die kopflosen Körper auf den Baumstumpf drückt.
Aber wie ich so dastehe zwischen den schwebenden Federn, wie ich so auf das nächste Huhn warte und mir die abgehackten Köpfe angucke, merke ich plötzlich, dass ich träume. Nicht wie manchmal tagsüber in der Laube oder nachts im Bett, es ist ein dunkleres und stärkeres Gefühl, das mit dem Anblick des Hühnerbluts zusammenzuhängen scheint. Mir ist plötzlich, als wäre meine Anwesenheit als Töter nur gedacht, mein ganzes bisheriges Leben, als würde eigentlich schon immer Hühnerblut in meinen Adern fließen. Ich bin nicht der Töter und warte auf das Huhn, ich bin das Huhn und warte auf den Töter. Ja, da entsteht zumindest in meiner Erinnerung ein Dasein als Huhn, ganz von alleine – da kann ich mich deutlich an ein großes Feld und an eine große Sonne erinnern; und es gibt auch eine Gemeinschaft an diesem grünen Ort, ich erinnere mich an diese pochende Lebensgier, die wir alle haben, und wie wir schreiend und flatternd durcheinanderlaufen. Und eines Tages werden wir hinter eine schattige Mauer getragen, und die Welt dreht sich um, aber das ist eben unmöglich, die dürfte es nämlich gar nicht geben, diese kalte Mauer, die will sich überhaupt nicht in die Geschichte fügen – deshalb ist auch das nur ein Traum. Deshalb muss es einer sein.
Und indem ich das denke, öffne und schließe ich die Augen, und auch die Augen an den toten Hühnerköpfen öffnen und schließen sich wie immer, ein letzter Reflex – aber diesmal sieht es aus, als wären sie tatsächlich im Zweifel, ungläubig, als könnten sie nicht mehr glauben, dass dieses Hühnerleben wahr gewesen sein soll.
Denn es war einfach zu klein. Mit diesen zufälligen Farben und Gerüchen.
Und als läge mein Kopf dort abgehackt im Gras, kann ich diesen Gedanken mitdenken, der mit einem kalten Hindernis in der Kehle beginnt: Ach, wie schade, dass es doch nur ein Traum gewesen ist, eigentlich bin ich nie vorhanden gewesen, ich war gar kein Huhn.
Die blicklosen Augen bleiben offen.
Das Märchen geht los.
Ja, ich kann es nicht beschwören, aber für einen Moment ist sie da, die große Verbundenheit mit allen vorherigen Leben, eine noch viel größere Schicksalsgeschichte, die ich hier erlebe, eine noch viel größere Ordnung, in die ich mich hier reinbringen will. In diesem Fall kann mir ja auch keiner widersprechen.
Und ich habe das Bedürfnis, das letzte der zu schlachtenden Hühner zu verschonen – überrascht von dem Mitgefühl, das ich entwickle. Ich will es im Wald aussetzen. Ich stelle mir vor, dass es vielleicht ein kleines Leben als Waldhuhn führen könnte, dass es verwildern könnte, um irgendwann in der Morgensonne an Altersschwäche zu sterben. Ziemlich zerrupft und mitgenommen, aber frei.
Frances sagt, dass der Gedanke eher unsinnig sei, da es nicht lange überleben würde, aber wir könnten es von ihr aus tun. Und so nimmt sie das Huhn an den Beinen, und wir gehen den Trampelpfad hoch.
Vor uns liegt der Wald.
Sie wirkt etwas müde, guckt nicht grade feierlich, das fällt mir auf, und als sie das Huhn auf der ersten Lichtung absetzt, beginnt mein Gefühl eigentlich auch schon wieder runterzufahren. Ich höre ein Rascheln, ich spüre, dass es windiger und kühler wird, der Wald wirkt zunehmend bedrohlich – ziemlich
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