Das große Leuchten (German Edition)
an. Dann gibt er uns ein Zeichen, dass wir uns setzen sollen, ruft der Barfrau etwas zu und verschwindet hinter einem Vorhang aus Plastikperlenketten. Ich lese: Marlboro Country, Good old Tennessee Whiskey, Puma, Persil, Hustelinchen – die verspiegelte Wand hinter der Bar ist mit Markennamen auf kleinen Blechschildern geschmückt, dazwischen schminken sich die jungen Frauen an den Cocktailtischen. Sie zupfen ihre Kleider zurecht und schicken uns Augenaufschläge, auf ihren Köpfen sitzen Frisuren wie brütende Vögel.
Robert rutscht auf dem Hocker hin und her, inzwischen wieder vollkommen durchgeschwitzt – trotzdem mit seinem bescheuerten Anglerhut auf dem Kopf.
«Dieser Ort ist falsch», sagt er.
«Was meinst du damit?»
«Einfach falsch. Die Leute sind falsch.»
«Reiß dich ein bisschen zusammen», sage ich. «Hier ist niemand falsch. Es kommt immer drauf an, wie man sich selber verhält.»
Dabei beginne auch ich zu schwitzen, aber er verhält sich wirklich exakt so, wie man es nicht machen darf: Sein ganzer Oberkörper ist angespannt, er dreht den Kopf hin und her, zappelt mit den Beinen – und scheint dadurch immer ängstlicher zu werden. Während man sich natürlich, ganz im Gegenteil, selbst Mut zureden muss, während man das richtige Gefühl für die Dinge entwickeln muss, die sich um einen herum bewegen – weil sich die Dinge so bewegen, wie man sich selber bewegt.
Ein einfaches Gesetz.
Seine Mutter hat mir mal ein Buch darüber geliehen, Suggestion und Autosuggestion , und wir haben schon öfter darüber diskutiert – aber er will es eben nicht richtig verstehen.
«Wenn du dich so ängstlich bewegst, wirst du immer ängstlicher, und dann fängst du wieder an, Geister zu sehen, das kommt nur aus deinem Kopf», sage ich. «Versuch doch mal, grade und ruhig zu sitzen, sonst werde ich auch noch zappelig.»
«CHEERS!»
Die Barfrau steht plötzlich vor uns und stellt uns zwei regenbogenfarbene Gebilde auf den Tresen. Bauchige Gläser voll buntem Likör, mit Strohhalm, Orangenscheibe und Schirmchen. Aus dem Spiegel hinter ihr fixieren uns mittlerweile sämtliche Gesichter, ernst, bis auf die jungen Frauen mit ihren starren Lächel-Posen. Und es ist erschreckend – ich habe keine Ahnung, was in all diesen Köpfen los ist. Aber grade deshalb muss ich mich doch zu ihnen hindrehen, sage ich mir. Und gucke möglichst frei zu Nassir Chan, der jetzt mit seinem beringten Finger auf mich zeigt.
Und stehe sogar auf in meinem beflammten Hemd.
Creolen schweben vorbei. Orangefarben geschminkte Lippen. Dann sehe ich plötzlich jemanden mit einer flachen Handtrommel, der allen Ernstes ein Che-Guevara-T-Shirt trägt, etwas zu offensiv vielleicht für einen wirklichen Kommunisten, aber ich kann es nicht einschätzen, die unterschiedlichsten Leute scheinen hier zusammenzukommen. Nassir Chan kommt zwischendurch zu mir und sagt, er wolle noch einige kleine Gespräche führen und dass ich einfach diesen Ort genießen solle, der ja ein besonders westlicher Ort sei. Wieder mit diesem etwas selbsthasserischen Ton, mit dem er vorhin von Teheran gesprochen hat.
Ich lehne mich möglichst beiläufig an eine Tapete, auf der ein Wald aus blauen Bäumen abgebildet ist.
Sammle mich hier. Blinzle sogar für zehn Sekunden nicht.
Als ich mich zu Robert umdrehe, bewegt der die Augenbrauen und deutet auf eine rote Nelke in einem schmalen Glas hinter der Bar. Das Symbol der kommunistischen Partei, das uns Ana mal auf einer Broschüre gezeigt hat, wenn auch ohne Stacheldrahtkranz. Robert scheint irgendwas Konkretes ausdrücken zu wollen mit seinen Grimassen, ich verstehe es nicht, er zeigt auf mich und auf die Nelke, aber dann ist Nassir Chan wieder da und nimmt mich sanft an der Hand. Wie eine Frau, die man zum Tanz auffordert.
Ich folge ihm durch einen Gang in einen dunklen Tanzraum, in dem sich langsame Pärchen unter einem goldenen Plastikkronleuchter bewegen. Die Männer wirken gorillahaft groß im Vergleich zu den Mädchen. Einer von ihnen schiebt sein Mädchen vor, als wollte er es Nassir Chan anbieten; Nassir Chan legt seinen Arm um mich und tätschelt mir den Kopf. Scheint mich ein bisschen verarschen zu wollen. Auch wenn er ganz freundlich guckt.
«Gefällt dir eine?», sagt er.
«Ich bin nicht interessiert an diesen Mädchen», sage ich. «Haben Sie schon etwas rausgefunden?»
«Ein wenig Geduld! Erst müssen wir doch plaudern!»
Er sieht sich um, zieht die Augenbrauen zusammen und nickt, als würde er meine
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