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Das große Leuchten (German Edition)

Das große Leuchten (German Edition)

Titel: Das große Leuchten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Stichmann
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Ablehnung verstehen: als wären die Mädchen hier einfach mäßige Qualität. Wahrscheinlich findet er es absurd oder versteht gar nicht, dass ich wirklich gekommen bin, um meine Freundin zu suchen, und ich müsste es ihm klarmachen, aber etwas sagt mir, dass ich jetzt noch passiv bleiben sollte, dass erst mal Zurückhaltung angesagt ist bei diesem Mann. Dass ich es mir sonst verscherze mit ihm.
    Als eine Dienerin näher tritt, um uns einen Schnaps anzubieten, gibt er mir ein Glas und hebt seins in die Luft.
    «SANTÉ! Weißt du, was das bedeutet, Santé?»
    «Cheers?»
    «Ja, natürlich, aber sagt man das noch? Sagt man nicht seit längerer Zeit schon FUCK?»
    «Fuck?»
    «Ja, Fuck. Oder liege ich damit falsch? Bei uns verwendet man nun gerne das Wort FUCK, ich dachte, es ist aus Europa zu uns herübergekommen. Der mit dem wunderschönen Smoking da vorne ist zum Beispiel Türke, und was sagt er? FUCK. Und der da vorne stammt aus Pakistan, und deshalb sagt er gerne: Fuck. Wer heute international erfolgreich ist, sagt FUCK. Damit sind alle sehr zufrieden.»
    «Meinen Sie das ernst?»
    «Ernst? Warum sollte ich denn ernst sein müssen? Frag mich lieber mal, wie mein Lieblingscocktail heißt. Das ist ein kleines Spielchen. Magst du es erraten?»
    «Fuck?»
    «Ausgezeichnet! Hervorragend geraten! Und jetzt solltest du ein wenig bei diesen persischen Affen hier mittanzen, zu dieser schönen Popmusik, so was mögen wir hier. Haben ja eine siebentausend Jahre alte Kultur.»
    «Können Sie mir jetzt doch nicht helfen?»
    «Aber ein wenig Geduld! Wie heißt das Zauberwort heute Abend?»
    «Fuck.»
    «Ausgezeichnet! Hervorragend geraten!»
    Damit geht er weiter.
    Ich folge ihm. Mit sicherem Schritt.

    Hinter dem Tanzzimmer ist es still, ein kühler, kleinerer Raum. Erst nach einer Weile schälen sich Türen aus dem Dunkeln. Schäbig mit Rissen im Holz. Als würde dieser Raum gar nicht mehr zum Apartment gehören. Es riecht nach Linsensuppe oder Eintopf, muffig und abgestanden. Nassir Chan bewegt sich im Schatten, eine schwache Lampe unter einem grünlichen Schirm geht an. Dann dreht er sich um und zwinkert mir zu.
    «Sie ist leider nicht sehr intelligent», sagt er. «Sie sieht sich selbst als Regisseurin und Schauspielerin, tatsächlich hat sie aber nur ein einziges Mal in einem Werbespot mitwirken dürfen.»
    «Wer?»
    «Die junge Dame, die den Kontakt hat, den du suchst. Falls du dich wirklich für keines von den Mädchen hier erwärmen kannst. Ich würde einen guten Preis für dich raushandeln, preiswerter als in Europa.»
    «Vielen Dank. Im Moment nicht.»
    Er legt das Kinn auf die Brust und sieht mich an, während ich möglichst klar und aufrichtig zu gucken versuche, ich probiere sogar ein kleines, sympathisches Lächeln. Dann holt er einen Schlüssel aus der Tasche, sieht sich noch mal um und schließt eine schmale Eisentür auf.
    «Ich wünsche dir eine schöne Zeit dadrinnen, es wird dir gefallen.»

    Es ist ein karges Schlafzimmer. Ziemlich dunkel. Nassir Chan schließt die Tür hinter mir und entfernt sich über den Flur. Ein gelber Globus leuchtet auf dem Nachttisch. Das Bett ist zerwühlt. Hinter dem Fenster ist etwas Stadtschimmer zu erkennen, sehr vage und verschwommen. Seitlich geht es durch eine offen stehende Eisentür in einen weiteren dunklen Raum.
    «HALLO?»
    Nichts.
    Ich befehle mir, erst mal durchzuatmen, eine aufrechte Körperhaltung einzunehmen, bevor ich weitergehe; Autosuggestion: Du machst alles vollkommen richtig, du gehst hier logisch, planvoll, systematisch vor. Durch den nächsten Raum. Durch einen dunklen Flur. Durch zwei Eisentüren, an denen große Vorhängeschlösser hängen. Über der dritten Tür entdecke ich wieder das Symbol, diesmal ganz deutlich auf einem weißen Tuch: blutrote Nelke und Stacheldraht. Hoffnung und Kampf. Streng verboten, trotzdem ganz offensiv.
    Und während ich nicht weiß, ob ich wirklich einfach so weitergehen sollte, wird es vor mir heller, das scheint ein badezimmerähnlicher Raum zu sein – mit chinesischen Schirmchen an den Wänden. Ich mache die Tür noch ein Stück weiter auf und befinde mich im zappelnden Licht unzähliger Kerzen. In der Mitte des Raums steht ein großer Paravent, dessen Schatten ebenfalls zappelt – dahinter plätschert etwas.
    Ich gehe vorsichtig zur Seite und stehe ihr plötzlich gegenüber. Sie lächelt mich an. Als wären wir verabredet gewesen.

    Eine Badewanne. Dutzende Parfümflaschen im Regal. Ich sehe weg, weil sie nackt ist,

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