Das große Leuchten (German Edition)
zurück.
Im Apartment, mit pumpendem Herzen, wirkt dann alles etwas anders. Es scheint mir plötzlich doch kein Puff mehr zu sein, eher eine stickige Bar, die nur leicht verboten wirkt – im Vergleich zu den anderen Stockwerken jedenfalls fast vertrauenerweckend. Unter dem Plastikkronleuchter tanzt man in enger Umarmung, im Schatten wird geküsst.
Ich mache eine mit Fellen beschlagene Tür auf. Dahinter ist die Party richtig im Gang: Vanilleparfüm schlägt mir entgegen, eine Klassenfahrtsatmosphäre. Die Frauen legen den Kopf in den Nacken, die Männer schieben die Brust vor und schnipsen zur Musik. Die Barfrau tanzt am wildesten, sie lässt zuckend die Hüften kreisen, als wollte sie den Arsch abwerfen.
Am Tresen steht Robert mit dem Cocktail in der Hand, von dem er nicht trinkt. Guckt ganz verstopft, was mich nicht wundert, dieser Raum ist so ziemlich das exakte Gegenteil seiner Welt. Den Anglerhut hat er abgesetzt, was aber auch nicht passender wirkt. Daneben Nassir Chan, der mich offenbar verarschen wollte, denn neben ihm steht die rote Frau, und sie lächeln beide zufrieden, als hätten sie nur auf meine Rückkehr gewartet.
Aber als ich näher komme, wird mir klar, dass sich die Situation löst – dass ich genau richtiggelegen habe mit meinem zurückhaltenden Verhalten. Dass Nassir Chan diese Spielchen brauchte, dass es seine Art ist und dass es ganz richtig war, mitzuspielen. Denn er sieht mich jetzt eindeutig versöhnlich an, sagt etwas von einer Telefonnummer, die seine rote Freundin mir aufgeschrieben habe, die Nummer eines Mannes, der Kontakt zu Anas Mutter hat.
Ich nehme den Zettel entgegen. Und Nassir Chan guckt wissend.
Dabei bin ich derjenige, der hier wissend gucken sollte, denke ich. Derjenige, der die Muster der Situation richtig eingeschätzt hat. Der mit Logik und Instinkt vorgegangen ist. Und ich versuche ein Lächeln, und diesmal wird es auch eins, ich kann es spüren – und die rote Frau spricht mir diesen persischen Namen aus, der neben der Telefonnummer steht: Tyrhkrdn.
Das bedeute in etwa: der dunkle Pfad.
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Das Abc der Parapsychologie
1
Ich hatte es mir als Befehl ins Bewusstsein gesetzt, nicht zu blinzeln. Ich saß auf einem Korbstuhl vor dem Landhaus und blinzelte anderthalb Minuten lang nicht. Manchmal schaffte ich zwei. Die Rapsfelder verschwammen und wurden zu gelben Formen, und die gelben Formen wurden zu einer vielfarbigen Fläche, und die vielfarbige Fläche wurde zu einem farblosen Etwas, hinter dem schon etwas anderes zu erahnen war – etwas Erschreckendes. Etwas Erschreckendes und etwas Rohes. Denn eines Tages, dachte ich, wenn man die Technik des Nichtblinzelns endgültig beherrschen würde, würde sich auch dieses letzte, schon farblose Etwas auflösen, und dahinter würde das Niegesehene sichtbar werden: die wirkliche Welt, der rohe Raum. Das nackte und grauenhafte Draußen. Und darin sicherlich so was wie eine Struktur.
Blinzeln bedeutet Angst haben, sagte ich mir, man muss sich aber bereit machen für dieses Grauen – man muss stärker sein als das Grauen, liebe Freundinnen und Freunde, sagte ich. Oder ich sagte: Liebe Freundinnen und Freunde, ich gehe vor, ihr kommt nach. Ich werde gegen das Grauen ins Feld ziehen, ihr aber sollt mir gehorchen und folgen.
Bevor ich dann erschrak.
Bevor ich dann dachte: Mit wem redest du hier.
Es war Hochsommer in der Einöde. Das alte Holz der Veranda knackte in der Sonne, die beiden Kletterpflanzen an den Balken blühten knallrot und violett. Frances hatte mich nach dem Tod meiner Mutter bei sich aufgenommen, ich wohnte inzwischen schon ein Jahr bei Robert und ihr, auch wenn es sich nicht so anfühlte, als sollte das hier jemals mein Zuhause werden.
Ich saß am liebsten alleine da und übte, gegen diese Panik anzukämpfen, die manchmal kam, wenn ich das Gefühl hatte, jemand anderes würde in mir denken, meine eigene Gedankenstimme würde sich in mir selbständig machen und mich von meinen Übungen abhalten.
Vor diesem leuchtenden Raps.
Indem ich mich dann zur Beruhigung auf die kleinen Bewegungen konzentrierte, auf die Wellen des Windes, auf die Schatten der Wolken. Oder auch auf Dinge, die es nicht gab, die ich nach und nach selbst erzeugte, indem ich die Farben etwas verschwimmen ließ.
Ich sah das iranische Mädchen, von dem Robert erzählt hatte. Sie stand weit entfernt in einem schwarzen Kleid, schön auf eine orientalische, geheimnisvolle Weise. War dann wieder weiter vorne zu sehen,
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