Das große Los: Wie ich bei Günther Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr (German Edition)
einmalige Chance, zwölfmal in eine andere Haut zu schlüpfen. Eine andere Umgebung führt zu anderen Gewohnheiten, weckt andere Interessen, ermöglicht andere Reaktionen. Das Jahr ist, wenn Du so willst, ein chemisches Experiment: Ich tauche mich selbst in zwölf unterschiedliche Reagenzgläser ein und beobachte, was mit mir geschieht. Würde ich mich auflösen, Blasen schlagen, explodieren, trüb werden? Wie verändern mich meine Erlebnisse, in was bestärken sie mich, worin werde ich verunsichert, worin erschüttert?
Du als Chemiker wirst Arbeitshypothesen als Ausgangspunkt Deiner Versuche gehabt haben, etwas zu Beweisendes oder zu Widerlegendes. Ich habe den Luxus der Ziellosigkeit. Ich will auf nichts Besonderes hinaus, ich will einfach nur spielen. Und nicht immer schon vorher alles wissen müssen, wie ich es mir in den letzten Jahrzehnten antrainiert habe. Ich weiß nicht, wie es Dir ging in Deiner Karriere: Ich habe an mir in den vergangenen Jahren eine stetig abnehmende Fehlertoleranz beobachtet. Ich habe mir die Genehmigung entzogen, auch mal danebenzuliegen. Irrtümer, Irrwege, so befruchtend auch immer, konnte und durfte ich mir nicht leisten, fand ich. Es musste immer alles klappen. Und jetzt denke ich: Wieso eigentlich?
Aber zurück zu London: Ich hatte befürchtet, es könnte vielleicht zu vertraut werden, ich würde hier meine Neugier verlieren. Von wegen! Wie ein gut geschulter Butler servierte mir die Stadt Angebote, mich in merkwürdige Situationen zu begeben, auf dem Silbertablett. Zum Beispiel diese hier:
Als Meike Winnemuth eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand sie sich in ihrem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.
Fast. Die Verwandlung fand am helllichten Nachmittag statt, und mit mir erwischte es zehn andere Neugierige. Das Science Museum veranstaltet jedes Wochenende Cockroach Tours, bei denen man die Welt des Menschen aus der Sicht von Kakerlaken kennenlernt, die bislang ja jeden irdischen Blödsinn überlebt haben. Sehr lehrreich (wer hätte gedacht, dass Kakerlaken eine Dreiviertelstunde lang die Luft anhalten können?), aber vor allem ein Wahnsinnsspaß. Besonders der Anblick der anderen Museumsbesucher war unbezahlbar, wenn wir auf Aufforderung unserer Führerin ( » Verteilt Euch!«) zum jeweils nächsten Exponat rannten.
Was ich an London so liebe: Für jede bescheuerte Idee finden sich garantiert Tausende von begeisterten Mitmachern. Unter all der nadelgestreiften stiff upper lip -Kontrolliertheit der Stadt schlägt nun mal ein wildes, exzentrisches Herz. Und so hat mich auch nicht verwundert, dass ich für Lullaby , ein besonders skurriles Theaterevent im Barbican, fast keine Karte mehr bekommen hätte, so viel Andrang gab es. Dabei wird dort nichts anderes versucht, als das Publikum so schnell wie möglich zum Einschlafen zu bringen.
Man checkt um 22.30 Uhr im Theater ein, zieht sich in der Umkleide Nachthemd und Plüschpuschen an, bekommt eine heiße Schokolade im Foyer serviert und wird dann zu seinem Platz gebracht. In diesem Fall: ins Bett. Im Barbican Pit stehen rund um eine kleine Bühne 50 Einzel-, Doppel- und Dreierbetten.
In dem neben mir lagen drei kichernde Franzosen, ein Mann und zwei Frauen. Auf jedem Nachttisch eine Wasserkaraffe und ein Beutelchen mit Lavendelseife, Schlafmaske und Ohrenstöpseln.
Ich trug meinen neuen Marks & Spencer-Pyjama, und auch die anderen Besucher waren festlich gewandet: rot-grüne Pyjamahosen mit Aliens und Robotern, rosa Polyesterrüschen-Nachthemden, es war alles dabei.
Eine Frau kuschelte mit ihrem Stoffhasen, ein Pärchen stritt leise.
Die Show selbst war zum Gähnen– genau das wollte sie ja auch sein. Somnambul zu Spieldosenmusik tanzende Tintenfische, ein wandelndes Stoffhaus mit Watterauch aus dem Schornstein, eine zaubernde Ente– » Dream food« nennen die Performer das, Bilder wie direkt aus dem Kinderfernsehprogramm, die hoffentlich später zu Träumen werden. Dazwischen Gute-Nacht-Geschichten mit Fragen, die man mit in den Schlaf nehmen konnte ( » Wenn du aus etwas anderem als Fleisch bestehen könntest, was wäre das?«).
Für die meisten ist es ja schon ein paar Jahrzehnte her, dass sie zuletzt liebevoll in den Schlaf gesungen wurden, einige haben es vielleicht nie erlebt. Ich war jedenfalls noch vor der Pause, in der Betthupferl und warmer Brandy serviert werden sollten, selig eingeschlafen. Das Letzte, an das ich mich erinnern kann, waren fliegende weiße Stoffquallen über unseren
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