Das große Los: Wie ich bei Günther Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr (German Edition)
nach Hause zu wollen. Ich Vollidiotin. All die Jahrehabe ich es nie geschafft, dorthin zurückzukehren, obwohl San Francisco immer eine meiner Sehnsuchtsstädte geblieben ist. Wenn ich mir vorstelle, dass ich sie schon mit 21 hätte kennenlernen können statt erst mit 51! Ob sich mein Leben verändert hätte? Ob ich auch damals schon mit dem Gedanken gespielt hätte, dort zu leben, so wie ich es jetzt tue? Oder hätte ich gar nichts anfangen können mit dieser Stadt, wäre ich zu jung gewesen für sie?
Dieses » Was wäre wenn«-Spiel könnte ich natürlich auch auf uns anwenden. Was wäre passiert, wenn wir ein Paar geblieben wären? Wenn ich Dich begleitet hätte zu Deinen Army-Einsätzen in die Ukraine, den Kosovo, nach Bosnien, Rumänien, Holland– wer wäre ich geworden? Wie hätte es mich verändert? Wo wäre mein Zuhause? Hätte ich ein ähnliches Gefühl der Desorientierung, wie ich es schon nach einem einzigen Reisejahr habe? Mich erschreckt fast ein wenig, wie leicht mir das Leben hier draußen gefallen ist, wie wenig ich mich nach Deutschland gesehnt habe. Wie egal es letztlich ist, wo ich lebe. Hätte ich nicht mehr Sehnsucht nach Zuhause haben müssen? Und was genau meine ich eigentlich damit, wenn ich von » Zuhause« rede?
Du siehst, ich schwimme gerade ziemlich. Wie hast Du es geschafft, nach all Deinen Auslandsjahren wieder in Amerika Fuß zu fassen? Oder hast Du es vielleicht gar nicht geschafft? Entschuldige, wenn ich Dich hier nur mit Fragen bombardiere, aber bitte schreib mir, ich bin gespannt auf Deine Erfahrungen. Ich habe die dumpfe Ahnung, dass ich sie in ein paar Tagen, wenn ich wieder in Deutschland bin, gut gebrauchen kann.
Ich schwimme übrigens wirklich: Ich schreibe Dir dies von Bord eines Frachters mitten im Atlantik, ein paar Hundert Seemeilen nordöstlich der Azoren, würde ich schätzen. Abschicken kann ich diese Mail erst, wenn ich wieder zuhause bin, denn auf der Bahia Laura, einem 250 Meter langen Containerschiff mit Kurs auf den Hamburger Hafen, bin ich auf die allerglücklichste Weise von der Welt abgeschnitten: kein Internet, kein Telefon, kein gar nichts. Das nächste Land, sagt der Kapitän, ist vier Kilometer entfernt– der Meeresboden. Die Vorstellung von 3000 bis 4000 Metern Wasser unter mir finde ich überhaupt nicht beängstigend, sondern eher beruhigend. Ich fühle mich getragen und geschaukelt und eingelullt wie von einer gewaltigen blauen Wiege.
Ich habe ein paar Tage gebraucht, bis ich mich an den totalen Reizentzug an Bord gewöhnt habe. Zu sehen gibt es nichts als Wasser, Himmel und alle paar Tage ein anderes Schiff am Horizont, zu riechen nur Salzluft und Diesel, zu hören Maschinenstampfen und Wind, zu spüren– Zeit. Sehr, sehr, sehr viel Zeit. Exakt das war der Grund, warum ich mich für diese Art der Heimreise entschieden habe: Ich möchte meine Erlebnisse sacken lassen können (circa 4000 Meter tief…). Und ich möchte ganz allmählich nach Hause kommen, mit einem genauen Gefühl für die Entfernung.
Damit meine ich nicht nur die Seemeilen, die zwischen der Karibik und Hamburg liegen. Diese Fahrt ist sowohl eine Passage zwischen zwei Kontinenten wie auch zwischen zwei Lebensformen, dem Reisen und dem– tja, was ist das Gegenteil davon: Nichtreisen? Wenn es nach mir ginge, könnte die Fahrt gern doppelt so lang dauern wie die zwölf Tage, die wir brauchen werden. Ich habe es überhaupt nicht eilig.
Das war vor fünf Wochen noch ganz anders, als ich von Addis Abeba über Istanbul nach Frankfurt unterwegs war, um dort den Flug nach Havanna zu erwischen, mein letztes Ziel dieses Jahres. Das Umsteigen bedeutete, dass ich zum ersten Mal seit elf Monaten wieder deutschen Boden betreten würde. Und so sehr ich im Lauf des Jahres Flughäfen als Katapulte betrachtet habe, die mich in die jeweils nächste Umlaufbahn schießen würden: Dieses Mal war es anders. Beim Anflug auf das nebelgraue Frankfurt dachte ich plötzlich: Ich höre jetzt auf.
Ich hatte diese ganz starke Phantasie, den schon durchgecheckten Koffer einfach allein fliegen zu lassen, mich in den nächsten Zug nach Hamburg zu setzen und mich dort drei Tage aufs Sofa zu legen, ohne jemandem zu verraten, dass ich wieder zuhause bin. Denn gesättigt war ich, angefüllt bis oben hin, das Highlight Äthiopien puckerte noch frisch in den Adern. Es hätte jetzt einfach enden können, ohne dass ich das Gefühl gehabt hätte, irgendetwas versäumt zu haben. Die Versuchung war groß, muss ich zugeben.
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