Das große Los: Wie ich bei Günther Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr (German Edition)
Vielleicht auch deshalb so groß, weil ich sie zum ersten Mal überhaupt verspürte: Nicht ein einziges Mal während des ganzen Jahres habe ich gedacht, dass ich genug hätte von der Welt und vom Reisen.
Oder rede ich mir das jetzt nur ein? Doch, das tue ich bestimmt. Reisende sind ja große Selbstbetrüger, das müssen sie auch sein, um die unvermeidlichen mauen und lauen Momente zu überstehen; die werden einfach ignoriert oder weggelacht oder glorifiziert, aus reinem Selbstschutz. Du weißt ja, wie unzuverlässig Augenzeugen sind. Das gilt erst recht für Langzeitreisende. Wir vergessen viel, die Sensationen lagern sich wie Sedimentschichten übereinander ab und quetschen die Erinnerungen platt. Was habe ich eigentlich in Shanghai getan? Und Sydney, ist das nicht schon Jahre her? Dieser Tage fühle ich mich manchmal wie ein Japaner nach zweiwöchiger Europa-Tour, der nur anhand der Fotos rekonstruieren kann, wo er war.
Von Laufwettbewerben, in denen ich gestartet bin, kenne ich es, dass einen beim Anblick der Ziellinie plötzlich die Kräfte verlassen. Profisportler überlisten sich, indem sie ein imaginäres Ziel einige Dutzend Meter hinter dem tatsächlichen anvisieren. So ähnlich habe ich es auch gemacht: Am Ende war es deshalb nicht der Gedanke an einen Monat im warmen Kuba, der mich umgestimmt hat, oder mein norddeutscher Sturkopf, der unbedingt die Zwölf vollkriegen wollte (der aber auch ein bisschen), sondern die Vorstellung, anschließend die Heimreise mit dem Schiff antreten zu dürfen. Und dazu musste ich leider erst mal rüber auf die andere Atlantikseite. Verrückt, oder? Hinzufliegen, um zurückschippern zu dürfen? Egal. Whatever works.
Ob es daran lag, dass ich innerlich schon abgeschlossen hatte mit der Reise– die ersten Tage in Havanna waren jedenfalls zäh. Ich wanderte wie immer kreuz und quer durch die neue Stadt, aber ich war müde. Lustlos. Und schuldbewusst wegen dieser Lustlosigkeit. Und verdrossen über mein schlechtes Gewissen. Und verärgert, dass ich jetzt zum Ende hin so schlappmachte. Eine Todesspirale der schlechten Laune. Was war bloß mit mir los? Ein vorgezogener Kater nach einem besoffen machenden Jahr?
Nicht sehr geholfen hat, dass ich als allein durch die Gegend schlendernde hellblonde Zielscheibe ununterbrochen von Kerlen angequatscht wurde. Man hatte mich zwar schon schonend darauf vorbereitet, aber es am eigenen Leib zu erleben war noch mal was anderes: Nirgendwo ist es nerviger, alleinreisende Frau zu sein und es auch bleiben zu wollen, als in Havanna, finde ich. Es fing schon vor der Passkontrolle an. Ein älterer Herr in der Schlange vor mir starrte mich die ganze Zeit an und sagte schließlich: » You are very beautiful. I will wait for you on the other side.«
Danke, vielen Dank, sehr nett, aber: Nein danke. Bei meinem ersten Spaziergang durch die Altstadt ging es dann an jeder Ecke weiter: » You are beautiful! I love you! Where are you from?«
Ich konnte mich auf keine Bank, keine Kaimauer setzen, ohne dass sich jemand ungebeten neben mich setzte und zu baggern anfing. Ein freundliches » no gracias, chao« nützte nichts, es half nur ein überhasteter Aufbruch. Die Standardfrage, woher ich komme, beantwortete ich irgendwann nur noch mit » Dinamarca«, Dänemark, weil mir so zumindest das übliche radebrechende » Wie gäht, alleskla?« erspart blieb, mit dem Deutsche beglückt werden. Dänisch hat hier keiner im Programm. Richtig die Schnauze voll hatte ich, als ein Kerl mich auf der Uferpromenade minutenlang verfolgte und irgendwann von hinten meine Hand ergriff: » Hola guapa.«
Ich: » No.«
» Hola.«
» ¡Adios!«
» Hola.«
» ¡Déjame!«
» Hola querida.«
» ¡¡¡ FUCK OFF , goddammit!!!«
» Hola…«
All das hat natürlich nicht das Geringste mit meiner plötzlichen überirdischen Schönheit zu tun, sondern ausschließlich mit dem Versuch, durch einen Flirt zu ein paar Kröten zu gelangen. Oft sind die Kerle jineteros, die Touristen für Prozente in Restaurants oder Privatpensionen schleppen, oft aber auch Hobby-Gigolos, die sich auf die Bespaßung einsamer älterer Damen spezialisiert haben. Wie auch immer: supernervig, weil es mich noch muffiger gemacht hat, als ich ohnehin schon war.
Nach ein paar Tagen hatte ich raus, wie es funktioniert: schnell gehen, als hätte ich einen dringenden Termin, und mich taub stellen. Na super: Die einzige Methode, in Ruhe gelassen zu werden, war, zum eiligen Arschloch zu werden. Arrogantes
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