Das große Los: Wie ich bei Günther Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr (German Edition)
ich hatte es nicht besser gewusst. Und vielleicht musste ich erst mal diesen ersten Schritt in die Welt hinaus machen, damit ein zweiter dann möglich werden kann. Ich habe irgendwann mal gesagt, dass ich vom Leben überrascht werden möchte. Und weiß der Himmel, der Wunsch ist in Äthiopien in Erfüllung gegangen.
Es war, als ob ich durch die Reise in den Norden erst wirklich in diesem Land angekommen bin. Denn auch in Addis Abeba war hinterher alles anders: Ich ließ mich endlich auf die Stadt ein. Geholfen haben dabei auch einige Aufträge, die ich auf Bitten von SZ -Magazin -Lesern ausgeführt habe. Eine der Mails kam von Ruth Paulig, einem Gründungsmitglied der bayerischen Grünen. Ihr Bruder Heinrich habe in den Siebzigern in Addis als Mathematikprofessor an der Uni gearbeitet und sehne sich sehr nach Äthiopien zurück, schrieb sie. Aufgrund eines Schlaganfalls könne er aber nicht mehr reisen. Ob ich ihm bitte ein Tütchen Berbere besorgen könne, das scharfe äthiopische Gewürz, das er so liebt? Und vielleicht auch mal bei seiner alten Haushälterin Birke vorbeischauen würde, die mit ihren sechs Kindern bei ihm gelebt habe? Ihr ein bisschen Obst bringen– das ist so teuer geworden– und Geld für Medikamente?
Aber natürlich, sehr gern. Birke wohnt in einem winzigen Haus unweit des zentralen Platzes Arat Kilo. Ihr Sohn Getenet, den ich per E-Mail erreicht habe, holt mich netterweise ab, allein hätte ich den Weg durch die engen Gassen kaum gefunden, Straßennamen gibt es hier nicht.
Der Besuch entwickelt sich schnell zu einer Reise in die Vergangenheit. Birke holt alte Fotoalben hervor, » ihren Schatz«, sagt Getenet. Darin unzählige Bilder nicht nur ihrer eigenen Familie, sondern auch welche von all den Menschen, für die sie im Lauf ihres Lebens gearbeitet hat, Deutsche, Franzosen, Familien, deren Kinder sie aufwachsen und schließlich gehen sah.
Auf mehreren Fotos ist sie mit einem weißen Baby auf dem Arm zu sehen: Michael, der in Addis geborene Sohn von Heinrich– heute ein erfolgreicher Wissenschaftler, er leitet einen Forschungsbereich an der TU München.
Wir reden viel über Vergangenheit und Erinnerung. Ich frage Getenet, dessen Kinderbilder ebenfalls im Album kleben, wie alt er sei.
» 41 oder 42«, sagt er.
Das weiß er nicht? Nein, das kann er nur schätzen.
In Äthiopien gibt es keine Geburtsurkunden, und seine Mutter kann sich nicht genau erinnern.
Nicht mal an den Geburtstag?
Nein: Er hat sich selbst einen gewählt. » Ich mag die Zahl 7, und ich mag den Monat Mai. Und ich mag Donnerstag. Also habe ich geschaut, in welchem Jahr der 7. Mai auf einen Donnerstag fiel.«
Natürlich gibt es buna , natürlich reden wir über die Sorgen, die die Familie gerade hat. Jeyuwork, die Tochter, die ihre Mutter zusammen mit einem Nachbarsmädchen pflegt, hat gerade ihren Job verloren. Sie hat in einem Andenkenladen in einer Einrichtung des SOS -Kinderdorfs gearbeitet, dort sind nach einem Korruptionsfall mehrere Stellen gestrichen worden. Getenet, ein Fahrer für eine Aids-Charity, unterstützt die Familie, ist aber viel unterwegs. Die Diabetes-Medikamente, die Birke braucht, sind teuer und müssen voll bezahlt werden, eine Krankenversicherung gibt es hier nicht. Ich räume sofort mein Portemonnaie leer.
Mich beschäftigen solche Geschichten immer sehr: Man trifft sich kurz im Leben, berührt einander, dann geht jeder wieder seiner Wege. Ich bin nur Zaungast in diesem Jahr, schaue kurz rein und bin dann auch schon wieder weg. Was bleibt, sind ein paar Fotos. Momentaufnahmen. Ich soll unbedingt die Bilder schicken, die ich an diesem Vormittag gemacht habe, sagt Getenet. Die wird er ausdrucken. Und die werden wahrscheinlich bald neben all den anderen im Album seiner Mutter kleben.
Zwei Tage später, als ich nach einer langen Tour durch die Stadt in mein Hotel zurückkomme, wartet Jeyuwork, Birkes Tochter, in der Lobby auf mich. Sie muss Stunden dort gesessen haben, sie will nicht sagen, wie lange. In ihrer Tasche hat sie eine Tüte mit selbst gemachtem Berbere, dem Gewürzpulver, das Heinrich Hartmann so liebt. Ob ich ihm das nach Deutschland mitbringen könne?
Natürlich, nichts lieber als das. Ich hole noch mal etwas Geld aus meinem Zimmer für die Familie, wieder mit dem schlechten Gewissen, vorerst nicht mehr tun zu können.
Umso mehr Respekt habe ich vor Leuten, die sich dauerhaft auf dieses Land einlassen, die hier eine Aufgabe und eine Heimat gefunden haben. Zum Beispiel Meike
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