Das große Los: Wie ich bei Günther Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr (German Edition)
träumen von einem Phantasieleben als Großwildjäger oder Hochseeangler oder Boxer oder Revolutionär oder Frauenbeglücker. Hier ging das alles mal. Und hier geht es noch, immer mit einer schönen Zigarre im Mund und einem Añejo im Glas.
Die Altstadt von Havanna ist die perfekte Kulisse für dieses Märchen aus Mojitos und Merengue. Ein gigantisches Freiluftmuseum einer untergegangenen Ära, wie in Aspik gegossen, postkartengerecht zerbröckelt. Ich habe mich dabei ertappt, zum ersten Mal durch eine Stadt zu gehen, als sei sie ein Vergnügungspark, zu meinem Entertainment hingestellt, ein karibisches Disneyland der Fifties.
Natürlich ist das eine Anmaßung. Was uns wie ein Trip in die Vergangenheit vorkommt, ist für die Einwohner schlicht die Gegenwart. Was uns als Kulisse für ein paar eskapistische Wochen mit Rückfahrticket dient, ist für sie unentrinnbare Realität. Schon der ästhetisierende Touristenblick verzerrt die Wirklichkeit: Wir sind aus unseren westlichen Städten so sehr das wilde Durcheinander der Epochen gewohnt, das optische Hupkonzert aus 18.-Jahrhundert-Kirchen, Jugendstilvillen, Sixties-Wohnblöcken, modernistischen Glaspalästen, dass uns eine Eindeutigkeit wie in Havanna schon fast künstlich vorkommt. Ist es nicht paradox, dass wir nur solche » Das gibt’s doch nicht«-Orte als » authentisch« empfinden, unsere eigene kompliziertere Lebenswirklichkeit aber nicht?
Hinterher reist jeder Besucher mit dem dreisten Wunsch ab, dass es möglichst so hübsch heruntergekommen bleiben möge, es fotografiert sich einfach besser– scheiß auf die Einwohner, die lieber in heilen Häusern wohnen würden und einen Job hätten, statt auf den Stufen der Verwahrlosung zu hocken und sich von Leuten wie mir beim prima authentischen Zigarrenrauchen knipsen zu lassen.
Vielleicht gehörte es zu meinem Reiseblues, aber zum ersten Mal hatte ich ernsthaft Probleme mit meiner Rolle in diesem Spiel.
Was mache ich hier eigentlich?
Ich habe ja aus denselben Gründen Havanna auf meinen Reiseplan gesetzt wie die meisten Kuba-Besucher: hin, so lange die Kaputtheit noch so schön intakt ist; wer weiß, was nach Fidels Tod passiert. Damit erfülle ich das alte Diktum von Hans M ag nus Enzensberger: » Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet.«
Devisenbringer wie ich krempeln die Gesellschaft um. Plötzlich ist es einträglicher, Zimmermädchen zu sein als Lehrerin; Ärzte verlassen die Krankenhäuser und fahren lieber Taxi; Lebensmittel wandern in die Hotels, nicht auf die Märkte. Und die Leute schlucken ihren Stolz herunter und schmeißen sich in der Hoffnung auf ein paar Kröten an die Fremden ran. Die dann davon genervt sind, so wie ich. Es sei denn, die Einheimischen spielen brav als Besichtigungsobjekte und Statisten in unserer Selbstinszenierung mit und singen abends in den Bars die Lieder, die wir aus » Buena Vista Social Club« kennen.
Du merkst schon, ich krankte mächtig an mir und meiner Reise, Kuba drohte zum selbst verschuldeten Fiasko zu werden– und das ausgerechnet zum Schluss. So wollte ich das Jahr eigentlich nicht beenden, verdammt! Gerade noch rechtzeitig hat mich in dieser Situation das gerettet, wovor ich eigentlich ziemlichen Bammel gehabt hatte: Annette, eine Münchner Journalistenkollegin, stieß für zwei Wochen zu mir.
Als sie mich zu Beginn des Jahres fragte, ob ich was dagegen hätte, wenn sie mich auf Kuba besuchen würde, hatte ich gesagt: Natürlich nicht, toll, nur zu. Doch je näher der Termin rückte, desto mulmiger wurde mir. Wir kannten uns kaum, privat eigentlich gar nicht, und zwei Wochen können lang werden, wenn man sic h ni cht versteht. Worauf hatte ich mich da nur wieder eingelassen?
Wie sich herausstellte, auf die Erlösung. Annette kam, trank als Erstes einen Rum mit mir und blies mir mit ihrer energisch guten Urlaubslaune meine dumpfen Brütereien aus dem Hirn. Ich war matt nach elf langen Monaten, sie frisch und unternehmungslustig. Ich ließ mich dankbar mitreißen, meine Muffigkeit hatte sowieso keine Chance gegen sie.
Auch darin habe ich, wenn ich mal an dieses Jahr zurückdenke, unglaubliches Glück gehabt: Immer wenn ich durchhing– am schlimmsten in Mumbai, aber auch in Barcelona–, schwebte ein Bergwachthubschrauber in Form eines Freundes ein. » Denn wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch«, Hölderlin, oder? Stimmt jedenfalls. Oder ist es genau andersherum: Immer wenn ich wusste, dass ich aufgefangen werden würde, ließ ich
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