Das grosse Maerchenbuch - 300 Maerchen zum Traeumen
das Weibchen sprach: „So eilt euch doch, da kommt die Prinzessin angefahren, was wird die von euch denken.“ Er konnte aber mit dem Zopfe nicht fertig werden, sprang vom Rosse und bat das Weibchen, es möge ihm den Zopf aufstecken. „Von Herzen gern“ sprach es, ließ sein Spinnrädchen stehn und schlich zu ihm. Kaum aber hatte es den Zopf berührt, da sank er zu Boden und lag in einem festen Zauberschlaf. Gleich nachher kam die Prinzessin mit ihrem Hofstaat angefahren. Ach wie war sie so untröstlich über ihr trauriges Schicksal, aber was war da zu machen? Sie schrieb auf ein Papier:
„Wenn du mich willst wiedersehen,
musst du ins Königreich Tiefenthal gehen“
und gab es ihm in die Hand, steckte eine Wunschbörse, welche nie leer wurde in seinen Sack und fuhr weiter, denn hier war ihres Bleibens nicht mehr; weiter konnte sie nichts für ihn tun.
Also lag der Wachtmeister Jahr und Tag in tiefem Schlafe bis die Zeit herum war; da erwachte er, fand das Papier in seiner Hand und erkannte nun wohl, wie er von dem alten Weibchen betrogen worden war. Er zog alsbald seinen Säbel, lief ins Häuschen und griff die böse Hexe bei den Haaren, während er schrie: „Willst du mir jetzt den Weg nach dem Königreich Tiefenthal zeigen, oder soll ich dich in Fetzen hauen?“ Da jammerte die Alte und versprach ihm alles Mögliche, wenn er sie nur gehen ließe, heimlich aber sann sie wiederum auf schlimmen Verrath. Nachdem er sie losgelassen hatte, wies sie ihm einen Weg, den solle er gehen, und er würde unfehlbar nach Tiefenthal gelangen. Der Wachtmeister machte ihr noch ein paarmal mit der flachen Klinge auf dem Rücken das Maaß, dann schwang er sich zu Pferde und fort gings wie der Sturmwind.
Nach drei Tagen kam er in einen Wald; als er hindurch war, sah er Abends von fern ein Licht. Er ritt darauf zu und kam an ein Haus, das sah just wie ein Einsiedlerhäuschen aus. Als er eintrat, saß da eine alte Frau, die bat er um Nachtherberge. „Ach guter Freund, sprach sie, wer euch zu mir gewiesen hat, der hat euch nicht wohl gewollt, denn meine Söhne sind Menschenfresser und sie verschonen Niemanden. Euch aber sollen sie nichts zu Leide tun, denn ihr habt schon genug ausgestanden, ich weiß Alles. Versteckt euch nur vor der Hand, damit sie nicht so auf euch losfallen können.“ Das tat der Wachtmeister und es war auch die höchste Zeit. Denn kaum war er in Sicherheit gebracht, da brauste es in der Luft, wie vom größten Sturm; dann fuhr die Thür auf und der älteste von den Söhnen polterte herein.
„Menschenfleisch riech ich,
Menschenfleisch genieß ich!“
schrie er und tobte in der Kammer umher, aber die alte Frau packte ihn bei den Schultern und warf ihn auf eine Bank nieder, dass es krachte. „Da setz dich hin und rühre dich nicht, du bekommst schon satt“ sprach sie. Indem rauschte es abermals draußen, als wenn der Vogel Greif herangeflogen käme, die Thür fuhr auf und der zweite von den Söhnen stürzte herein, schnüffelte in der Kammer herum und schrie:
„Menschenfleisch riech ich,
Menschenfleisch genieß ich!“
Da packte die alte Frau ihn und setzte ihn unsanft neben den ersten auf die Bank nieder. „Da bleibt ihr jetzt sitzen, ihr langen Schlingel,“ sprach sie, „und hört was ich euch sage.“ Anfangs brummten sie wohl noch, aber da hob die Alte ihren Finger und sie wurden mäuschenstill. Dann holte sie den Wachtmeister aus seinem Versteck hervor. Als der Aelteste von den Söhnen ihn sah, rief er: „Mutter, was ist das für ein fremdes Tier?“ „Das ist ein Wachtmeister, mein Sohn,“ sprach die Frau „und ihr sollt ihn in das Königreich Tiefenthal tragen.“ Da brummten sie wieder, sprachen, das wäre gar zu weit und er wäre ihnen zu schwer, aber die Alte gab ihnen gute Worte, erzählte ihnen seine Geschichte und plauderte ihnen so viel vor, dass sie endlich versprachen, ihn mit seinem Pferde nach Tiefenthal zu tragen; der jüngste wollte ihn nehmen und der Aelteste, welcher auch der stärkste war, das Pferd. Der Wachtmeister dankte ihnen und der Frau hunderttausendmal. Nachdem sie nun alle gegessen und getrunken hatten kam es wie ein tiefer Schlaf über ihn und als er wieder erwachte, lag er neben seinem Pferd im hohen Gras und vor ihm glänzte und leuchtete eine stolze Stadt mit hundert Thürmen. Er stieg zu Roß, ritt auf die Stadt zu und fragte die Leute, wie die Stadt heiße? Das sei die Hauptstadt vom Königreich Tiefenthal, sagten sie. Fröhlichen Mutes trabte er hinein
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