Das grosse Maerchenbuch - 300 Maerchen zum Traeumen
einem Schiffe gegen die Seeräuber ziehen.“ „tue das nicht,“ sprach der Jüngste, „du weißt doch wohl, dass wir unserm Bruder versprochen haben, nicht von einander zu weichen in Freud und Leid, lass uns darum Wort halten und treu zusammen bleiben. Wenn du dein Glück finden sollst, dann kannst du es hier so gut finden, wie in einem andern WeltTeil.“ Der Aeltere bestand aber darauf, er wolle fort, da sprach der Jüngere: „Wenn du gehest, dann kann ich nicht bleiben, denn ich halte mein Versprechen, wie hart es mir auch ankommt.“ Und er ging zu seiner Frau und sprach: „Binnen acht Tagen verreise ich mit meinem Bruder, um ein wenig die Welt zu sehen; in Jahresfrist sind wir aber wieder zurück.“ Ach wie da die arme Prinzessin weinte und jammerte; es brach ihm fast das Herz, doch er ließ sich in seinem Entschluss nicht irre machen, denn sein Wort war ihm allzu heilig. Als nun die Schiffe zur Abfahrt gerüstet da lagen, zog der Prinz sein Schwert und gab es seiner lieben Frau, indem er sprach: „Behalte dieß Schwert als ein Zeichen von mir; so lange es blank bleibt, geht es mir gut, und so lange du keinen Rost oder Flecken darauf siehst, bin ich dir getreu und das bleibe ich bis in den Tod.“ Da gab ihm die Prinzessin ihr schneeweißes Gewand und sprach: „Dafür schenke ich dir diesen Mantel als ein Zeichen von mir; so lange er weiß bleibt, so lange bleibt meine Treue unverletzt.“ Da küssten und umarmten sie sich unter vielen Tränen und die beiden Brüder gingen zu Schiffe. Die Prinzessin aber schaute ihnen noch lange nach, bis die weißen Segel fern auf dem Meer verschwanden.
Als sie etwa acht Wochen auf dem Meere waren, da kamen eines Morgens drei Schiffe mit Seeräubern gefahren, welche für den Sultan Beute machten. Die umzingelten das Schiff, worauf die beiden Brüder sich befanden und machten sie und alle Andere, welche mit ihnen fuhren, zu Gefangenen. Am folgenden Tage wurden sie vor den Sultan geführt. Als der ihre reichen und prächtigen Kleider sah, freute er sich über den Fang und frug sie, woher sie kämen und wer sie seien. Da erzählten sie ihm ihre Geschichte und baten, er möge sie doch wieder frei geben, sie wollten ihm schweres Geld senden, so viel, als er verlange. Jetzt war aber seine Freude erst recht groß, als er hörte, dass einer von ihnen der Gemahl der Prinzessin sei, welche ihn so schimpflich abgewiesen hatte, und er sprach: „Ich gäbe euch nicht um alles Gold auf der ganzen Welt, denn ich will mich an euch dafür rächen, dass die Prinzessin meinen Thron verschmäht hat; jetzt wird sie aber wohl zahm werden. Ihr seit Hunde und sollt bei den andern Hunden sitzen und mit ihnen fressen und schlafen.“ Da ging ein trauriges Leben für die Brüder an und hundertmal beklagte der Aeltere, dass er seinem Bruder nicht gefolgt und ihn auch ins Unglück gestürzt hätte. Jeden Tag mussten sie die schimpflichsten Arbeiten verrichten; dazu bekamen sie kein anderes Essen, als die Brocken, welche vom Tische fielen, denn sobald die Glocke zum Mittagessen läutete, mussten sie mit den Hunden in das Speisezimmer laufen und sich unter den Tisch setzen. Die besten Brocken schnappten die Hunde ihnen dazu noch weg, so dass sie manchmal bittern Hunger litten. Oft mussten sie sich auch vor den Sultan legen, der alsdann seine Füße auf sie setzte und sie trat und schimpfte, wenn sie sich nur rührten. Das Schlimmste war ihr Lager im Hundestall, der sehr unrein war und nie gefegt werden durfte. Darum musste der ältere Bruder jeden Morgen seine Kleider sämmtlich waschen, der jüngere hatte dieß jedoch nicht nötig, denn an dem Gewande seiner Frau, welches er beständig trug, blieb kein Stäubchen hängen und es war immer Schlossenweiß, wie der frischgefallene Schnee; das war sein einziger und größter Trost in diesen schweren Tagen.
Die Prinzessin hatte unterdessen fleißig nach dem Schwerte geschaut und war von Herzen froh, dass es stets so hell und blank blieb. Eines Morgens aber, als sie es erfreut darüber in der Hand hielt und betrachtete, lief ein trüber Hauch darüber und wie sie auch putzte und wischte, er wollte nicht weichen. Da ergriff ein schwerer Kummer ihr Herz, denn sie erkannte nun, dass ihrem lieben Gemahl ein Unglück begegnet sein müsse, und sie beschloss ihm nachzureisen, um ihn zu retten, koste es, was es wolle.
Als sie sich eben zur Abfahrt rüstete, kamen Boten in das Schloss, welche ihr meldeten, dass der Sultan aus der Türkei angekommen sei, der
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